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Lang andauernde Heldendämmerung

Heute im RBB: Lachen auf Bestellung - 65 Jahre Kabarett »Die Distel«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Ist Lachen subversiv? Wenn man es richtig versteht, dann ja. Denn wer lacht, ist für einen Moment vom Ernst, die Welt zu bessern befreit. Man darf über ihre Fehler lachen und muss nicht gleich Überstunden machen, um sie von diesen zu heilen. Das ist Freiheit, wenigstens für Augenblicke.

Lachen kann durchaus harmlose Anlässe haben, unpolitische Witze etwa funktionieren in allen Systemen. Auch das Genre des »Schwanks« ist für alle Beteiligten völlig ungefährlich - man schlägt sich lachend auf die Schenkel und ist mit der unvollkommenen Welt vollkommen im Reinen.

Wer Kabarett macht, bei dem ist das anders. Er verbindet Kritik mit einer Pointe. Wer jetzt an der falschen - also doch richtigen - Stelle lacht, der erklärt sich zu herrschenden Verhältnissen. Da wird es dann heikel für jede Gegenwart, gestern wie heute - denn solch ein Lachen kann die Selbstlegitimierungs-Inszenierung vorgeblich heiler Welten empfindlich stören. Also Kabarett ist Befreiungskrieg mit Worten - wenn auch immer zur sofortigen Kapitulation bereit, wenn es ernst wird. Denn hier geht es nicht um Umsturz-Rhetorik, sondern das geistvolle Spiel mit dem Als ob, um die Erweiterung von Spielräumen des Aussprechens, von Tabu-Verletzungen, aber so, dass es nicht beabsichtigt, sondern eher zufällig wirkt. Kabarett ist immer dann gut, wenn sich Ideologen und Moralisten unwohl fühlen, aber doch nichts ins der Hand haben, gegen das Gesagte vorzugehen.

Damit ist die Frage, ob die DDR nun ein guter Ort für das Kabarett war oder nicht, im Grunde schon beantwortet: natürlich! Denn die Kunst des uneindeutigen Sprechens (so dass man im Zweifelsfalle doch nichts Anstößiges gesagt hatte), das Erspüren des Unausgesprochenen hinter den gesagten Worten, das lernte man im Schatten der SED-Ideologie. Die einen nennen das Sprachintelligenz, die andern Sklavensprache. Letztere sind die Herren im Reich der Eindeutigkeiten. Wer ins Kabarett geht weiß, dass jeder Eindeutigkeit mindestens eine weitere gegenübersteht - die Eindeutigkeiten kollidieren. Herauskommt das Mehrdeutige, an dem sich der Mensch jenseits seiner Mission erfreut.

»Die Menschen wollten lachen«, sagt Distel-Urgestein Herbert Köfer. Das ist ein Fakt, an dem auch die SED-Spitze nicht vorbeikam. Am 15. Juni 1953 wurde die Gründung eines Berufskabaretts mit fester Spielstätte beschlossen, zwei Tage später brachen die Arbeiteraufstände los. Die Distel wurde trotzdem eröffnet - vor 65. Jahren, am 2. Oktober 1953. Im Grunde funktioniert das Kabarett wie eine freie Gewerkschaft (die es in der DDR nicht geben durfte) - sie beschützt das Volk vor der Regierung und die Regierung vor dem Volk. Ein Puffer, ein Ventil für Unmut aller Art - und zudem vergnüglich. In diesem Raum darf man Dinge aussprechen, die nicht in der Zeitung stehen. Das Kabarett in der Rolle des Hofnarren? »Hurra - Humor ist eingeplant« lautete dann der Titel des ersten Distel-Programms. Lachen ist ziviler Widerstand gegen jede militante Ideologie - und sei es auch die der Weltverbesserung, die mit dem Mängelwesen Mensch nicht rechnet.

Grundtenor des filmischen Porträts über die Distel von Jana von Rautenberg ist der Satz: »Es war ein Kabarett in der DDR zwischen Systemkritik und Systemschmeichelei.« Vielleicht ist das bis heute so geblieben - nur dass es den einen bewusst ist und den anderen nicht. Statt des Zensors entscheiden nun die Einnahmen des Hauses über Sein und Nichtsein - denn seit der Wende ist die Distel ein subventionsfreies (also im Marx’schen Sinne doppelt freies) Privattheater. Täglich trage er seine Haut zum Markt, um sie zu verkaufen - so etwa sagte es Brecht, lange bevor er das Berliner Ensemble bekam. Danach äußerte er sich vorsichtiger, wie das Besitzende nun mal tun.

Der Film reist anhand von vielen unerwarteten - und unerwartet witzigen - Filmausschnitten durch Distel-Jahrzehnte. Natürlich waren da Havarien programmiert. 1958 sollte das neue Distel-Programm »Beim Barte des Proleten« heißen - Walter Ulbricht fühlte sich erkannt, das Programm durfte so nicht gezeigt werden. Die Distel fand ihren ganz eigenen Weg zwischen erlaubt und verboten, zwischen aussprechen und verschweigen - aber immer so, dass es jeder versteht. Jürgen Klammer: »Es gibt da so einen Satz: Was du nicht sagen darfst, das wird versungen. Und wenn du das auch nicht sagen darfst, dann wird es vertanzt.« So klingen die mutigen Opportunisten der Distel - und ihr Publikum erkannte sich in ihnen wieder.

Doch die Grenze des Humors war bei einigen Parteifunktionären schnell erreicht. Als die »drei Dialektiker« einen Sketch in der Fernseh-Unterhaltungssendung »Kessel Buntes« spielten, der schon monatelang in der Distel zu sehen war - lief dem Berliner SED-Chef Konrad Naumann die Galle über: »So sind unsere Bauarbeiter nicht!« Die Szene: Die Mieter einer Neubauwohnung ärgern sich über eine Beule in der Wand - plötzlich stehen zwei Bauarbeiter in der Wohnung und sagen, sie müssen da noch mal ran, sie hätten den Betonmischer vergessen. In der Wiederholung der Sendung war dann der Sketch rausgeschnitten. Einer der »Dialektiker«, Lutz Stückrath, erinnert sich der Wirkung solcherart Übergriffe: »Wir hatten plötzlich keinen Drive mehr, wir hatten keinen Mut mehr, etwas zu machen.«

Auch die Distel, so ist zu sehen, kämpfte in den letzten Jahren der DDR mit der Apathie. Das Mittelmaß grassierte im Lande. Nach der Wende spielten sie scheinbar ins Nichts - der Widerstand war weg, für die auf der Bühne wie die im Publikum. Dann kamen Stasi-Verbindungen programmtragender Kabarettisten an Licht, so die des Rostocker Heinz Draehn, des beliebten Kuddeldaddeldu, der inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen war. Für einen Kabarettisten, einen Florettfechter mit der Macht im Lande, ist das ebenso kompromittierend, als würde ein Priester den Inhalt der von ihm abgenommenen Beichten weiterberichten.

Die couragierte Gisela Oechelhaeuser führte dann das Kabarett durch die Wende-Wirren: »Das Politbüro konnte ich bescheißen, den Markt nicht.« Ein Schock war es darum, als sich herausstellte, dass auch sie seit 1976 mit dem Ministerium für Staatssicherheit verbunden war, jedoch diese Zusammenarbeit 1980 wieder beendete. Das Ensemble beschließt dennoch, dass Gisela Oechelhaeuser gehen muss. Eine Wunde, die sich bis heute nicht geschlossen hat, weil sich auch hierin DDR-Geschichte spiegelt.

RBB, 2. Oktober, Uhr.

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