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Unsichtbar

Markus Söder war der perfekte Politiker der Nullerjahre. Inzwischen hat er sich selbst wegflexibilisiert, meint Leo Fischer

Am Sonntag sind Landtagswahlen in Bayern, und aller Voraussicht nach werden Markus Söder und seine CSU eine krachende Niederlage einstecken. Jahre der Hybris, Jahre einer deutschlandweit vielleicht nur mit Sachsen vergleichbaren Eigenbrötelei und Selbstverliebtheit gehen zu Ende.

Erst in den letzten Monaten hatte die Partei begonnen, die katastrophalen Umfragewerte ernstzunehmen - spät, zu spät wurde bemerkt, dass sie nicht trotz, sondern wegen ihrer Versuche, Konzepte der AfD zu übernehmen, von der Wählerschaft abgestraft wurde. Spät, zu spät hatte Söder registriert, wie stark sich gerade das traditionell katholische Milieu in der Flüchtlingshilfe engagiert hatte - ein Milieu, das sich plötzlich von der eigenen Stammpartei in die Ecke mit linksgrünen Gutmenschen gestellt sah (und diese Nachbarschaft zur eigenen Überraschung gar nicht mehr so abschreckend fand); ein Milieu, das sich auch durch die als pure Gefälligkeit und Marketing-Masche durchschaubare Kruzifix-Aktion nicht hatte weichklopfen lassen. Spät, zu spät hatte Söder registriert, wie stark sich die Szene in den bayerischen Großstädten in den letzten Jahren verändert hat, wie wenig die vielbeschworene Ästhetik von »Laptop & Lederhosen« noch mit der urbanen Wirklichkeit zu tun hat. Zeitlebens fuhr Söder mit einer Riesenportion Intellektuellen- und Städteverachtung sehr gut. Was ihm am Anfang Sympathien einbrachte, holt ihn jetzt ein.

Die CSU hatte sich in den Jahren der Alleinherrschaft an der eigenen Allmacht besoffen - ohne zu merken, dass die Basis, die sie ihr verschafft hatte, so nicht mehr existierte. Erst im letzten Vierteljahr begann Söder, Kreide zu fressen; ließ sich gelegentlich sogar dazu herab, auch mal kritische Worte wider den Rechtspopulismus zu richten - und die Schuld an den Umfragen allein Seehofer anzulasten. Das Kalkül: Während der irrlichternde Parteichef vom Streit über die Flucht- und Einwanderungspolitik direkt in die Affäre Maaßen stolperte und dabei zum hässlichen Gesicht der CSU wurde, sollte Söder als Landesvater Ruhe und Behäbigkeit ausstrahlen. Man hat es beiden nicht abgekauft - noch zu präsent waren Söders Ausfälle gegen Migrantisierte, noch zu präsent die Kaltschnäuzigkeit, mit der auch innerparteiliche Konkurrenz niedergebügelt wurde, noch zu beklemmend die Begeisterung, mit der Söder nach Ungarn blickte.

Gleich in mehrfacher Weise hat sich Söder zu Tode gesiegt: Da die Partei nun ganz auf seine Person eingeschworen ist, gibt es auch die vielbeschworene Vielstimmigkeit der CSU nicht mehr, auf die man bei Zweifeln an der Führungsspitze immer verweisen konnte. Aus dem »roten Nürnberg« machte er Markus-Söder-Stadt, aus der CSU einen Söder-Wahlverein. So sehr hat er jeden Rivalen weggebissen, dass sich noch nicht einmal jetzt, im Augenblick der Niederlage, ein Gegner in Position bringt.

Am Beispiel Söder lässt sich gut studieren, wie ein Politikstil, der sich im kurzen historischen Fenster als opportun darstellte, in kurzer Zeit implodieren kann. Söder war der perfekte Nullerjahre-Politiker, darin vielleicht nur mit Westerwelle zu vergleichen. Der smarte Überflieger im Modus stets anknipsbarer Dauerbegeisterung; Klassenstreber und Klassenkasper in Personalunion. Der Politdarsteller als Inkarnation der vollends flexibilisierten Arbeitskraft, als Vorbild und Bedrohung für alle; der Horrorclown, der heute als Shrek, morgen als Stoiber, übermorgen als Gauland am politischen Maskenball teilnimmt, wird mit dem Zusammenbruch einer ebenfalls in die Jahre gekommenen flexibilisierten Arbeits- und Lebensweise zum Auslaufmodell. Zeitlebens wollte Söder Ministerpräsident werden; und wer es so sehr geworden ist wie er, der ist sonst gar nichts mehr außer Ministerpräsident, der kann dann am Ende alles verkörpern, nur nicht sich selbst. Als der vollendete Neoliberale hat sich Söder selbst hinwegflexibilisiert.

Gleichzeitig ist der Fall Söder auch eine gute Lektion für die Bundespolitik - stets hat das chamäleonische Anschmiegen an den Rechtspopulismus nur diesem genutzt. Er ist eine klebrige Oberfläche, die, einmal betreten, nicht wieder verlassen werden kann. Diejenigen, die in der CDU schon jetzt die Messer wider Merkel wetzen, sind gut beraten, Söder auch hier als abschreckendes Beispiel zu nehmen.

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