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Die Köpfe der Hydra

Christoph Ruf über die unseligen Praktiken der FIFA und ihres skrupellosen Präsidenten Gianni Infantino

Es sind nicht nur die Aluhüte und »Compact«-Leser der Republik, die sich darin einig sind, dass DIE Medien ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen, Erwartbares liefern statt unbequem zu sein, dass sie nicht mehr recherchieren, teils aus Mangel an Ressourcen, teils aus Bequemlichkeit.

Da ist es doch interessant, dass gerade innerhalb weniger Tage zwei große Rechercheerfolge veröffentlicht werden konnten, über die man wohl noch in einigen Jahren sagen wird, dass sie »epochal« waren. Da wäre zum einen der »Spiegel« mit seinen »Football leaks«, einer Artikelserie, in der neben all den Machenschaften der Branchenriesen und ihrer Handlanger bei den Fußballverbänden die Pläne zur Gründung einer Super-League für die Reichen und Schönen des europäischen Fußballs veröffentlich wurden.

Ende vergangener Woche konnte nun die »Süddeutsche Zeitung« die Früchte monatelanger Recherchearbeit ernten: mit den Enthüllungen über die FIFA und ihren Präsidenten Gianni Infantino. Eine bittere Pointe wäre es, wenn es den Qualitätsmedien in ein paar Jahren so geht wie den inhabergeführten Geschäften in den Innenstädten. Erst wenn sie aufgegeben haben, weil die Konkurrenz aus dem Netz jahrelang so attraktiv erschien, trauert man ihnen nach. Weil der Bedienungsfehler beim 10 Euro billigeren Fotoapparat aus dem Netz von niemandem behoben werden kann. Und weil die meisten Klickkönige im Web noch nie irgendetwas herausgefunden haben. Außer der Kunst, Luft in Dosen abzufüllen und die mehrmals täglich neu zu lackieren.

Doch zurück zu Herrn Infantino, dem Verpackungskünstler einer ganz anderen, einer florierenden Branche. Sollte sich in den zurückliegenden Monaten jemand über die immer neuen Sinnloswettbewerbe gewundert haben - von der Nations League bis hin zu Vorschlägen für eine Klub-WM -, weiß er jetzt, was los ist. Nein, die Herren in der Schweiz sind nicht völlig verrückt, sie haben nur konsequent ihre Geschäftspolitik der vergangenen Jahre fortgeschrieben, so lange alles zu Geld zu machen, was der Fußball noch an Gehalt haben könnte, bis die Gier des letzten skrupellosen Ölscheichs und des vorletzten europäischen Fußballfunktionärs gleichermaßen befriedigt sein wird.

25 Milliarden US-Dollar, verteilt auf zwölf Jahre, soll eine Investorengruppe für zwei neue Wettbewerbe geboten haben: für eine Weltliga für Nationalteams und eben für eine Klub-WM. Das behauptet die FIFA, die allerdings selbst bei diesem Plan so tut, als sei er nur ein unverbindliches Gedankenspiel von vielen. Doch - so argumentiert die »Süddeutsche Zeitung« schlüssig - für zwei solche Gaga-Wettbewerbe, die wohl kaum Milliarden von Menschen in ihren Bann ziehen würden, gibt niemand so viel Geld aus.

Es geht stattdessen um das ganz große Rad, um Fernseh-, Digital- und Marketingrechte. »Nicht einmal vor der Fußball-WM macht der Ausverkauf halt. Würde Infantinos Plan umgesetzt, hätte in Zukunft ein Finanzkonsortium das Sagen über die Zukunft des Weltfußballs - die FIFA bliebe als leere Hülle zurück«, schreibt die »SZ«.

Als im Juni 2015 Joseph Blatter als FIFA-Präsident zurücktrat, schien der Höhepunkt eines Bauerntheaters erreicht. Ein 1,61 Meter großer Narr, der sich selbst für unersetzlich hielt und in seiner Selbstherrlichkeit gar nicht merkte, wie auch der letzte Getreue aus all den Jahrzehnten des Gemauschels und Prassens von ihm abgerückt war. Blatter-Sepp schien der Inbegriff all dessen, was die FIFA an Angriffsfläche bot und bietet.

Doch man hat sich getäuscht. Sein Nachfolger, der stets lächelnde Infantino, mag weltmännischer wirken als sein Vorgänger. Doch in Sachen Skrupellosigkeit scheint er ihm noch einiges voraus zu haben. Vor allem dann, wenn es um die eigenen Interessen geht - und die seiner Seilschaft, die sich in bemerkenswert kurzem Zeitraum geknüpft hat.

Schon unmittelbar nach den Veröffentlichungen der »SZ« wurden die ersten Forderungen laut, dass Infantino zurücktreten müsse. Und tatsächlich gibt es dafür mehr als genügend Gründe. Allerdings stellt sich die Frage, ob das Problem nicht zu ernst ist, als dass es durch irgendeine Personalrochade noch zu lösen wäre. Die FIFA erinnert an die Hydra aus der griechischen Mythologie. Der Blatter-Kopf ist weg, der von Infantino wackelt. Doch beide kommen aus dem gleichen Körper. Wer da auf hübschere Gesichter hofft, glaubt auch an die Reformfähigkeit der katholischen Kirche.

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