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Der Riss ging durch Familien

Heidi und Wolfgang Beutin erinnern an Intellektuelle in der deutschen Novemberrevolution

  • Werner Abel
  • Lesedauer: 3 Min.

Kann man die deutsche Novemberrevolution vom Ende der Demokratie her denken, die sie hervorgebracht hat? Entsprach diese Demokratie dem, was sich die Protagonisten der Revolution erträumten? Antworten darauf finden sich im Buch von Heidi und Wolfgang Beutin.

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Heidi Beutin/ Wolfgang Beutin: Fanfaren einer neuen Freiheit. Deutsche Intellektuelle und die Novemberrevolution.
WGB, 308 S., geb., 49,95 €.

Kritische Stimmen bemerkten bereits seinerzeit, dass die Revolution Keime der Gegenrevolution barg. So schrieb Kurt Tucholsky 1919: »Wir haben in Deutschland keine Revolution gehabt - aber wir haben eine Gegenrevolution.« Und zehn Jahre später meinte der Rätedemokrat Max Hölz: »Was 1918 in Deutschland vor sich ging, war keine Revolution. Die feigen Fürsten flohen, und die ›tapferen‹ Herren Ebert und Scheidemann setzten sich auf die leergewordenen Sessel.« In diese Richtung wies auch der Titel des Buches von Theodor Plivier: »Der Kaiser ging, die Generäle blieben«.

Viele Intellektuelle (dieser Begriff war zu jener Zeit noch unüblich, man sprach eher von »Geistesschaffenden«) solidarisierten sich damals mit dem radikalen Flügel der Arbeiterbewegung, die ihrerseits wiederum auch Intellektuelle von Format hervorbrachte. Die Mehrheit der Intellektuellen waren für die Republik, wobei es um die Frage ging, ob diese bürgerlich-demokratisch oder sozialistisch sein sollte. Dort, wo Intellektuelle an die Macht kamen, für jene oft selbst überraschend, wie beispielsweise in Bayern, favorisierten sie räteförmige Strukturen. In Berlin gründete sich der »Politische Rat geistiger Arbeiter«, der - nach Kurt Hiller, einem Theoretiker des Expressionismus - auf den Aktivismus der Schriftsteller Alfred Kerr, Gustav Landauer, Heinrich Mann und Ludwig Rubiner zurückging. Ziel der Literaten war, ähnlich jenem der Arbeiter- und Soldatenräte, die Abschaffung der Wehrpflicht, die Vergesellschaftung von Grund und Boden, die Umwandlung kapitalistischen Eigentums in Arbeiterproduktivgenossenschaften, die Liberalisierung des Strafrechts und die Freiheit des Geschlechtslebens.

Die Reaktion schäumte vor Wut und reagierte mit Mord und hypertropher Auslegung des Strafrechts. Gemessen daran war die von der radikalen Linken ausgehende Gewalt gering. Den Nachweis dafür hatte 1925 schon Richard Müller, als Vorsitzender der Revolutionären Obleute der »Mann hinter der Novemberrevolution« in seinen beiden Bänden »Vom Kaiserreich zur Republik« geführt. Er belegte, so dessen Biograf Ralf Hoffrogge, »dass die Eskalation der Konflikte eine gezielte Strategie der Gegenrevolution war. Es gab niemals einen Bürgerkrieg von links, auch wenn dies bis in die Gegenwart immer wieder behauptet wird ... Das bevorzugte Mittel auch der radikalen Räterevolutionäre war der Generalstreik ... Die Mittel der Gegenrevolution hingegen sahen anders aus. Sie betrieb den Terror einer Minderheit, ihre Kampfmittel umfassten von Anfang an Gewalt gegen Streikende und den politischen Mord am Gegner. Der Bürgerkrieg wurde also geführt, und zwar von rechts.«

Die Beutins räumen auch auf mit der Legende vom »Spartakus-Aufstand«. Die Organisation, deren Nennung sich mit den Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht assoziiert, war viel zu klein und hatte noch zu wenig Einfluss in den Betrieben und Gewerkschaften. Weder Liebknecht noch Luxemburg, so die Verfasser, riefen zum Blutvergießen auf. Gewalt war für sie nur ein defensives Mittel.

Bemerkenswert ist zudem, wie die deutsche Revolution die Familien spaltete: Thomas Mann zum Beispiel sehnte das Ende der Bayrischen Räterepublik herbei, während sein Bruder Heinrich mit ihr sympathisierte und gar den Vorsitz des »Rates der geistigen Arbeiter« übernahm.

Das Buch liest sich wie ein »Who is who« der Intellektuellen in der Revolution und der frühen Weimarer Republik. Eine wahre Fundgrube.

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