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Auftakt zum Staatsmassaker

Der »Spartakusaufstand« 1919 war weder ein Aufstand - noch spartakistisch

  • Jörn Schütrumpf
  • Lesedauer: 5 Min.

Anton Fischer machte am Abend des 28. Dezembers 1918 seinen Antrittsbesuch bei den drei Volksbeauftragten des Deutschen Reiches - Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Landsberg. Der neu eingesetzte Stadtkommandant von Berlin, ein geheimdiensterfahrener ehemaliger Franziskanerpater, galt als das letzte Bollwerk gegen die Revolution. Über seine politischen Prämissen berichtete er später selbst: »Ich formulierte mein Programm, habe es den Genossen vorgelegt, sie erklärten sich damit einverstanden, gut! Aufgrund dieses Programms gab ich meinen Leuten Anweisung und Befehl, dass, sobald irgendwie Truppen oder Demonstranten kämen, die sie von ihrem Posten verdrängten, die sie von den Gebäuden wegdrängten oder angriffen, sofort von der Waffe Gebrauch gemacht wird, nachdem die Leute zum Zurückgehen aufgefordert seien. Wird dieser Aufforderung nicht nachgekommen, soll solange von der Waffe - Schuss- und Stoßwaffe - Gebrauch gemacht werden, bis Verstärkung da ist oder die Angreifer zurückgeschlagen sind.«

Ab sofort galt statt des Satzes »Deutsche schießen nicht auf Deutsche« in Berlin wieder ein Schießbefehl wie vor dem 9. November 1918. Damit war die wichtigste Zutat für eine Niederschlagung der Revolution - natürlich »unter dem Banner der Revolution« - schon bereitet. In den Annalen ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, dieser Vorgang bis heute als »Spartakusaufstand« verzeichnet, der im Januar 1919 habe erstickt werden müssen.

Jörn Schütrumpf

Jörn Schütrumpf, Jahrgang 1956, promovierte 1987 an der Akademie der Wissenschaften der DDR. Nach 1990 war er am Aufbau der Rosa-Luxemburg-Stiftung beteiligt, 2003 bis 2016 Leiter des Karl Dietz Verlag Berlin.

Von ihm erschienen u.a. die historische Miniatur »Rosa Luxemburg oder Der Preis der Freiheit«, er gab »Rosa Luxemburg - Die Liebesbriefe« heraus.

Zu den Januarunruhen 1919 editierte er 2018 den damals geheim gebliebenen Untersuchungsbericht des preußischen Vorparlaments: »Spartakusaufstand«. Der unterschlagene Bericht des Untersuchungsausschusses der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin, Karl Dietz Verlag Berlin, 640 S., Hardcover, 49 €.

Nachdem es der SPD-Führung zu Weihnachten 1918 - endlich - gelungen war, die schwankende Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) zum Austritt aus der provisorischen Regierung zu zwingen, war der Weg frei: Wie sich eine schwache Regierung mit einem - selbst vom Zaun gebrochenen - Bürgerkrieg und mit zügellosem Terror an der Macht hält, bewiesen seit Monaten die Bolschewiki …

Alle Kräfte, die ab dem 29. Dezember 1918 sich gegen die SPD-Regierung wandten - ganz gleich ob bewaffnet oder nicht -, galten von nun an als »Spartakisten«. Wie Robert Leinert, ein prominenter SPD-Führer, später einräumte, handelte es sich dabei keineswegs nur um Anhänger des kleinen Spartakusbundes (in Berlin hatte der zu Anfang Januar 1919 einige Hundert Mitglieder), sondern um Anhänger der USPD (mit 25 000 Mitgliedern in Berlin die größte linke Partei) und der sogenannten Mehrheitssozialdemokraten, also um Anhänger der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD bzw. MSPD). Von deren 1914 noch etwa 120 000 Berliner Mitgliedern waren 1918 rund 7000 übrig.

In allen drei dieser Parteien war die revolutionäre Linke zu Hause: im Spartakusbund, der am 30. Dezember 1918 in der KPD aufgegangen war, in der von der Linken dominierten Berliner Organisation der USPD ebenfalls - hinter ihr standen in Berlin mindestens 200 000, vielfach gewerkschaftlich organisierte Arbeiter - und auch in der SPD, denn viele revolutionäre Linke hatten den Krieg in der alten Partei überwintert und opponierten erst in der Revolution offen gegen die eigene Parteiführung. Verbunden wurden diese drei Richtungen durch die revolutionären Obleute. Das waren Gewerkschafter, zumeist Mitglied der USPD, die in den Berliner Waffenschmieden illegal den Sturz der Monarchie vorbereitet und am 9. November 1918 die Massen auf die Straßen geführt hatten. In der Revolution waren diese, oft weiter im Halbschatten agierenden, Arbeiterführer zu einem kaum überschätzbaren Machtfaktor aufgestiegen.

Am 3. Januar 1919 räumte die USPD-Führung auch in Preußen ihre Regierungssitze, wie sie es auf Reichsebene bereits am 28. Dezember 1918 getan hatte. Danach entließ am Samstag, dem 4. Januar 1919, die nunmehr rein mehrheitssozialdemokratisch geführte Regierung den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, der dem linken Flügel der USPD angehörte. Mit diesem Schritt sollte Widerstand provoziert werden, wobei sich aber schnell herausstellte, dass die Regierungsseite viel schwächer war als sie selbst geglaubt hatte. Trotzdem gelang es ihr binnen weniger Tage, die Unruhen zu ersticken. Denn bei diesen Ereignissen handelte es sich - anders als am 9. November 1918 - nicht um einen Aufstand. Die revolutionären Obleute, unterstützt durch die Berliner Organisation der USPD und die Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund), hatten zwar am 5. Januar 1919 die Massen auf die Straßen gerufen, sich dann aber nicht über das weitere Vorgehen verständigen können.

Die Kommunisten, in der Organisation ebenso schwach wie in der Zahl, spielten in den nächsten Tagen kaum eine Rolle. Selbst der »Rote Soldatenbund«, den der Spartakusbund versucht hatte aufzubauen, konnte nicht eingesetzt werden. Er war fest in der Hand von Spitzeln und Provokateuren.

Nach mehreren Kundgebungen, die am Nachmittag des 5. Januars 1919 in der Berliner Innenstadt stattgefunden hatten, besetzten einige - eher Hundert als Tausend - Radikalisierte das Berliner Zeitungsviertel. Geführt wurden sie zumeist von Dreigroschenjungs, nach eigener Aussage finanziert durch den Stadtkommandanten Anton Fischer. Diese Besetzungen waren für ein Weitertreiben der Revolution, gar für einen Sturz der Regierung völlig sinnlos: Die potenziellen Sturmtruppen nahmen sich so selbst aus dem Spiel. Hätte es einen Plan für einen Aufstand oder auch nur für einen Putsch gegeben, dann wären zuerst die kaum bewachten Regierungsgebäude und anschließend - wenn überhaupt - die Zeitungsredaktionen gestürmt worden.

So aber liefen die Initiatoren ihrer eigenen Initiative hinterher: Die revolutionären Obleute und die Führer der Berliner Organisation der USPD, fast alles erfahrene Organisatoren, bildeten zwar am Abend des 5. Januar 1919 einen sogenannten Revolutionsausschuss, unter den 33 Personen befanden sich auch zwei KPD-Führer: Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck. Die Sprecher dieses Revolutionsausschusses waren Georg Ledebour (USPD), Karl Liebknecht (KPD) und Paul Scholze (revolutionäre Obleute). Sinnvoll ist ein Revolutionsausschuss natürlich nur dann, wenn er die Übernahme der Regierung anstrebt. Das wurde jedoch nur halbherzig begonnen und in einer - blutigen - Posse beendet.

Rosa Luxemburg wird bis heute von interessierter Seite gern für diese Ereignisse verantwortlich gemacht. Dabei heißt es in dem von SPD- und bürgerlichen Parlamentariern verfassten »Bericht des Untersuchungsausschusses der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin« wortwörtlich: »So scheint z. B. Rosa Luxemburg den Plan durchaus nicht gutgeheißen zu haben (…)« Von dieser zeitgenössischen Einsachätzung wusste allerdings bis vor kurzem kaum jemand. Denn dieser Bericht wurde weder dem Parlament vorgelegt, noch anderweitig öffentlich gemacht.

Der Vertraute des Stadtkommandanten Fischer, Preußens Innenminister Eugen Ernst, konnte nach dem Staatsmassaker samt Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor Stolz seine Zunge nicht im Zaume halten: »Der Erfolg der Spartakusleute war von vornherein ausgeschlossen, da wir sie durch unsere Vorbereitungen zum frühesten Zuschlagen genötigt haben. Ihre Karten wurden früher aufgedeckt, als sie es wünschten, und wir waren daher in der Lage, ihnen entgegenzutreten.«

Nach 1945 trat derselbe Eugen Ernst der SED bei. Er wurde einer ihrer Vorzeige-Sozialdemokraten.

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