Deutschland, ausgerechnet

Ann Loewin über jüdisches Leben in Zeiten des Rechtsrucks

  • Ann Loewin
  • Lesedauer: 3 Min.

Es kommen jüngst viele junge, oft linke Israelis nach Berlin. Zu den Gründen gehören ein relativ günstiges Leben, eine boomende Kreativszene, aber auch Unzufriedenheit mit der politischen Situation in Israel, nicht zuletzt hinsichtlich des ungelösten Konflikts mit den Palästinenser*innen. Zu Hause stoßen diese Kinder der sogenannten dritten Generation mit ihrem Umzug nicht immer auf Verständnis: ausgerechnet Deutschland?

Der 27. Januar als Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bietet Anlass, dieses Unbehagen tatsächlich ein wenig auszurechnen. Der Aufschwung radikaler Rechter drückt sich nicht nur hierzulande prominent im Hass auf »Araber« und »den Islam« aus. Zugleich werfen sich rechte Frontfiguren als »Freunde Israels«, gar Schutzmacht jüdischen Lebens in Pose. Die Empirie zeigt allerdings, dass diese Logik des »gemeinsamen Feindes« in der Breite der Rechten nicht greift. Nach der jüngsten Autoritarismusstudie der Uni Leipzig sind 25 Prozent der Bevölkerung rassistisch eingestellt - und meinen latent fast ebenso viele, nämlich 20 Prozent, »die Juden« hätten zu viel Macht. Wenn AfD-Chef Alexander Gauland im Bundestag sagt, »wer den Davidstern verbrennt und Kippaträger angreift«, habe das »Gastrecht verwirkt«, mag die Intention eines Schulterschlusses mit Israels Rechtsregierung subjektiv ehrlich sein. Doch die Welle, die ihn dorthin spülte, charakterisiert eher das doppelzüngige Björn-Höcke-Sprachbild vom »Denkmal der Schande«. Das verstehen offenbar die 70 Prozent der - jüdischen - Befragten der im Dezember vorgestellten Antisemitismusstudie der Fundamental Rights Agency (FAR) der EU, die im antimuslimischen Rassismus kein geringeres Problem sehen als im Antisemitismus.

In ihrer Ideologie ganz unberührt vom instrumentellen Bezug der neuen Rechten auf das Judentum sind jene sechs Prozent, denen die Leipziger Studie ein »geschlossenes rechtsextremes Weltbild« attestiert. Diese Zahl bleibt konstant, während sich seit 2014 die Straftaten fast verdoppelten - Zeichen einer Radikalisierung, die Jüdinnen und Juden alarmieren muss. Jüngst verdichten sich nach Razzien, etwa gegen die »National Socialist Knights of the Ku Klux Klan« oder den Wiederaufbau des NSU-nahen Netzes »Blood and Honour«, Hinweise auf Terrorstrukturen. Zugleich flogen solche im Sicherheitsapparat auf: »Hannibals« Schattenarmee beim Militär und der »NSU 2.0« in Hessens Polizei.

Nicht nur auf Straftaten und Organisationen, sondern auch auf jüdische Alltagserfahrungen zielt die erwähnte Studie der FAR. Fast 90 Prozent der Befragten sehen sich wachsendem Hass ausgesetzt, der sich im vergangenen Jahrfünft in Bedrohungen und Übergriffen, in Verbalattacken und Ausgrenzung niedergeschlagen habe. Alltagserfahrungen sammelt auch der Hashtag »myFirstAntisemiticExperience« - wie zuvor »mejew« -, den ein britischer Rabbi initiierte. Eine verbreitete Provokation scheint es zu sein, jüdischen Kindern Geld vor die Füße zu werfen, um sie dann »gierig« zu schimpfen, ob sie es aufheben oder nicht. Als traumatisierend beschrieben wird vielfach der Mangel an Solidarität angesichts solcher »ersten antisemitischen Erfahrungen«.

Laut der FAR-Studie haben in der Bundesrepublik 44 Prozent der Juden und Jüdinnen in jüngerer Zeit mit Emigrationsgedanken gespielt - 2012 waren es noch 25 Prozent. Diese landeserfahrenen Leute rechnen sich offenbar ein etwas anderes Deutschland aus als jene jungen israelischen Zuwanderer in Berlin, die gerade auch vor diesem Hintergrund herzlich zu begrüßen sind.

In dieser Rubrik nehmen sich Ann Loewin und Katryn Antoni in loser Folge das rechtsdrehende Inland vor - und die, die es stören.

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