Über Leben und Tod von Fußballklubs

Christoph Ruf über anonymes Gepöbel, die Kraft echter Fanszenen und ein zerstörtes Biotop in Berlin

Kürzlich, bei der Informationsveranstaltung des Karlsruher Sport Club über die weiteren Pläne der Vereinsführung, kam es zu einer interessanten Diskussion. Ein älteres Mitglied merkte mitten in der Debatte über den mittelprächtigen Zuschauerzuspruch an, dass viele seiner Bekannten deshalb wegblieben, weil sie von der Fanszene abgeschreckt seien. Von den angeblich immer gleichen Gesängen der Ultras, von Pyrotechnik und Randale. Er führte dabei zwei Beispiele an - Ausschreitungen nach einem verlorenen Relegationsspiel (2012) und bei einem Auswärtsspiel in Stuttgart (2017) -, die sich tatsächlich auch so zugetragen hatten. Und tatsächlich gibt es viele Menschen, die solche Szenen abstoßend finden, ich gehöre dazu. Ich war gespannt auf die Reaktion der aktiven Fanszene, denn die war zu guten Teilen auch im Raum. Doch wer damit gerechnet hatte, dass die mit Häme reagieren würde, sah sich getäuscht.

Zuerst einmal dankte ein szeneintern bekannter Fan, der sich zu Wort meldete, dem Vorredner. Solch ehrliche Worte seien ihm lieber als das anonyme Gepöbel im Internet, dem er sich sonst ausgesetzt sehe. Und dann präsentierte er eine Rechnung, die wahrscheinlich jeder nachvollziehen kann, der den Wildpark seit dem 7:0 gegen Valencia im Jahr 1993 noch mal von innen gesehen hat. Es könne schon sein, meinte er, dass die aktive Fanszene ein paar Leute vom Stadionbesuch abhalte. Aber er sei sicher, dass dafür zehn Mal so viele Menschen wegen der Fans kommen.

Das war nun eine Rechnung, die allein schon nach dem Ausschlussprinzip schlüssig war. In einer Region, in der die Bundesligastadien von Frankfurt, Hoffenheim oder Stuttgart innerhalb von 45 bis 90 Minuten zu erreichen sind, dürfte es wohl niemanden geben, der wegen der fußballerischen Güte eines Zweit- oder Drittligakicks gegen Bielefeld oder Fortuna Köln dann doch lieber nach Karlsruhe als nach Frankfurt fährt. Der Stadionkomfort dürfte es angesichts einer breiten Laufbahn zwischen Zuschauern und Spielfeld auch nicht sein, der sonderlich attraktiv wirkt. Zumal sich Klagen über die fehlende goldene Mitte am Wurststand häufen. Zwischen den Extremen - einer rohen Wurst und eines verbrannten Exemplars - fehlt es beim Karlsruher SC leider allzu oft am Mittelweg.

Nein, wer aus den Umlandgemeinden im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und trotzdem zum KSC statt zur Konkurrenz fährt, der tut das, weil ihm ein Oldschool-Stadion lieber ist als ein kundenfreundlich zurechtgenormter Neubau. Und er tut es, weil es in Karlsruhe eine Ultraszene gibt, die im Gegensatz zum kickenden Bodenpersonal bundesweit über einen überdurchschnittlichen Ruf verfügt. Anders gesagt: Es ist der Fan, der andere Fans ins Stadion lockt.

Womit wir bei TeBe Berlin wären. Einem Verein, der jahrzehntelang immerhin ein kleines, nettes Biotop in der fußballerischen Ödnis der Hauptstadt außerhalb von Köpenick war. Ich war nicht oft da in den letzten 20 Jahren, aber alle zwei Jahre eben schon. Und immer war es etwas Besonders, dort Fußball zu sehen. Zu einem kleinen Teil wegen des Stadions und der in die Haupttribüne integrierten Kneipe. Zu einem großen Teil wegen der kleinen, kreativen und fantasievollen Fanszene, mit der man immer viel Spaß hatte. Eines muss allerdings auch die sich vorwerfen lassen: Sie hat offenbar nie damit gerechnet, dass eine Satzung, die jedem Stimmrecht gibt, der zehn Minuten vor einer Abstimmung eintritt, Manipulationen Tür und Tor öffnet.

So konnte diese Fanszene von einem Mann aus dem Verein gedrängt werden, bei dessen Nachnamen es sich nur um ein Pseudonym handeln kann. Wenn nur die Hälfte der zahlreichen Medienberichte und persönlichen Schilderungen zutreffen, hat Jens Redlich mit üblen Mauscheleien und vielen von ihm organisierten Neueintritten eine Aufsichtsratswahl so manipuliert, dass nun ihm genehme Leute am Ruder sind, die TeBe binnen kurzem von einem bunten, aber besonderen Nischenklub zu einem der vielen 0815-Vereine machen wollen, die ohne jede Fanbasis irgendwie erfolgreich sein wollen. Zum ersten Spiel nach der Wahl kamen 60 Zuschauer. Läuft ...

Ein Verein, der beschließt, dass er genau das, was ihn ausmacht, nicht mehr braucht, ist tot. Das werden bald auch die neuen Machthaber merken. Spätestens dann, wenn sie aufsteigen und sie merken, wen das noch interessiert. Die Dame - und auch das ist ein Pseudonym - heißt: keine Sau.

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