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Milchmännchens Rechnung
Der »bereinigte« Gender Pay Gap ist unsauber, findet Lotte Laloire
Nur ein Schwanzvergleich unter Statistiknerds, so scheint es. Es geht darum, ob der »bereinigte« oder der »unbereinigte« Gender Pay Gap der richtige Wert für die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen ist. Diese Frage ist hochpolitisch. Als »Bullshit« bezeichnen Typen auf Twitter den »unbereinigten« Wert von 21 Prozent, den das Bundesamt für Statistik zum Equal Pay Day veröffentlicht hat. Ein Autor vom Onlinemagazin Telepolis meinte einmal, in der Zahl schlummere ein »Irrtum«, sie verfälsche »die tatsächliche wirtschaftliche Lage der meisten Männer«. Neunmalkluge, Normalos, Konservative und Rechte bemühen statt der realen 21 Prozent häufig den niedrigeren Wert von sechs Prozent. Doch dieser »bereinigte« Wert ist alles andere als eine saubere Sache. Denn dabei werden alle möglichen Faktoren ignoriert, die den Gender Pay Gap beeinflussen - vom Wirtschaftszweig und der Berufsgruppe über die seltenere Beförderung weiblicher Beschäftigter, bis hin zu den Dienstjahren. Frauen sammeln oft weniger Jahre an, weil in den aller meisten Fällen sie diejenigen sind, die Pausen für unbezahlte Haus-, Sorge- und Familienarbeit einlegen (müssen). Damit verbunden sind oft überproportional schlecht entlohnte Teilzeitjobs. All das wollen manche offenbar ignorieren. Der Sexismus wirkt dann direkt weniger schlimm.
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Zu dieser Milchmännchenrechnung gehören Märchen, die sowohl Männer als auch Frauen leider immer wieder abspulen - oft unbewusst: So heißt es, Frauen ergriffen schlechter bezahlte Berufe (stimmt teilweise), dadurch entstehende Unterschiede sollten nicht berücksichtigt werden (Bullshit), sie seien »natürlich« (Irrtum) oder rührten aus »freien Entscheidungen« der Frauen (falsch). Am »bereinigten« Gender Pay Gap ist vor allem eines richtig: Durch ihn lässt sich die Schuld an der Misere den Benachteiligten selbst in die Schuhe schieben, statt etwas im zurückgebliebenen Deutschland und auf seinem Ausbeutermarkt ändern zu müssen.
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