Wie in der Pizzawerbung

Wer zum ersten Mal ein Konzert mit klassischer Musik besucht, könnte feststellen, dass der Sound ganz gut ist. Und einige Stücke von anderswo längst bekannt

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Wo Tourbusse stehen, treten Musiker*innen auf, die es zu etwas gebracht haben. Am Berliner Gendarmenmarkt parken zwei Exemplare. Die K&K-Philharmoniker und der Opernchor spielen heute. Schick gekleidete Menschen strömen zum Eingang des Konzerthauses. Sie wissen, wo sie hinmüssen, und so schließt man sich an, als Newbie. Zum ersten Mal ein Konzert mit klassischer Musik besuchen.

Im goldfarben verzierten Saal füllen sich die Sitze und Ränge. Das Publikum ist gut frisiert, kein Haar steht ungewollt von einem Kopf ab. Männer in Anzug und Hemd schauen erwartungsvoll Richtung Bühne, Frauen tragen Blusen. Parfümgeruch liegt in der Luft.

Das Orchester und die Chormitglieder betreten die Bühne, woraufhin der Altersdurchschnitt im Raum sinkt. Während die Menschen auf der Bühne wohl zwischen 20 und 55 Jahre alt sind, bringen es die meisten im Publikum auf 55 bis 80 Jahre.

Geigen setzen ein, die Hörner auch, es wird lauter, dann schwillt die Lautstärke wieder ab. Der Chor schmettert Lyrics durch den Saal. Die Gesichter der Musiker*innen sehen so aus, als ob sie viel Spaß beim Singen haben. Und irgendwie fällt beim Zuhören und Beobachten der Stress des Arbeitstages von einem ab. Auf der Bühne gibt es viel zu sehen. Geigenbögen wedeln durch die Luft, die Harfenistin, so heißt das, wartet stoisch auf ihren Einsatz. Die Fliegen an den Hälsen der Musiker sind weiß, die der Chorsänger schwarz. Dirigent Taras Lenko schwingt seinen Stab in die Höhe, sticht ihn nach vorne. Sein Körper bewegt sich im Rhythmus der Musik, fast so, als ob er tanzt. Der Einzige, der hier große Bewegungen zu den treibenden Melodien machen darf.

Jetzt sind Orchester und Chor gemeinsam dran, Richard Wagners »Treulich geführt«, so verrät das Programmheft. Den Hochzeitssong – den man aus Filmen kennt, in denen er manchmal erklingt, wenn Paare auf den Altar zugehen – summt ein Mann mit. Eine Frau mit Tuch um die Schultern lächelt ihren Mann an. Man kennt doch so einige Stücke. Aus Disneyfilmen oder einer Werbung für Tiefkühlpizza. Dieser Sound ist anschlussfähig.

In der Pause machen zwei ältere Damen Selfies. Ein Smartphone vom letzten Jahr und Musik von vor 200 Jahren schließen sich nicht aus. Das erklärt auch, warum die Videos auf dem Youtube-Kanal der K&K-Philharmoniker Zehntausende Aufrufe haben.

Die gute Musik geht weiter. Das Publikum versucht, im Takt mitzuklatschen, das kommt unerwartet für die Erstlings-Konzertbesucherin. Die Becken werden geschlagen, Schlussgedonner. Bravo-Rufe, Pfeifen. Dann schlüpfen alle an den Garderoben wieder in ihre Jacken.

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