UN ist gegen Bestrafung von Seenotrettern

Entscheidung der Ermittlungsrichter über Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete wird am Dienstag erwartet

  • Lesedauer: 4 Min.

New York. Anlässlich des Falls der in Italien unter Hausarrest gestellten Deutschen Kapitänin haben sich die Vereinten Nationen grundsätzlich gegen Strafen für Seenotretter ausgesprochen. Der Sprecher von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, Stephane Dujarric, betonte am Montag in New York zwar, dass er den Einzelfall um Carola Rackete nicht kommentieren wolle, sagte aber: »Seenotrettung ist ein seit langem bestehender humanitärer Imperativ, der auch völkerrechtlich vorgeschrieben ist. Kein Schiff oder Schiffsführer sollte von Geldstrafen bedroht sein, wenn er Booten in Seenot zu Hilfe kommt, bei denen Menschen sonst ihr Leben verlieren würden.«

Die 31-jährige Carola Rackete war am Wochenende auf der Insel Lampedusa unter Hausarrest gestellt worden. Sie war mit mehr als 40 Migranten an Bord trotz Verbots der Regierung in Rom in italienische Hoheitsgewässer gefahren.

Im Fall der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete wird am Dienstag eine Entscheidung des Ermittlungsrichters erwartet. Nach einer etwa dreistündigen Vernehmung am Montag war offen geblieben, ob die 31-Jährige auf freien Fuß gesetzt oder Haftbefehl für sie erlassen wird. Rackete verbrachte eine weitere Nacht im Hausarrest. Unterdessen wurden Details zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen die Deutsche bekannt.

Rackete hatte vergangene Woche das Rettungsschiff »Sea-Watch 3« mit mehr als 40 Migranten an Bord unerlaubt in die italienischen Hoheitsgewässer gesteuert. In der Nacht auf Samstag fuhr Rackete - ebenfalls trotz eines Verbots - in den Hafen der sizilianischen Insel Lampedusa. Sie rechtfertigte ihre Entscheidung mit der verzweifelten Lage an Bord.

Die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch hatte am 12. Juni insgesamt 53 Migranten vor Libyen gerettet. Aus gesundheitlichen und humanitären Gründen hatten schon 13 Migranten frühzeitig von Bord gehen können. Das Schiff aber bekam keine Anlegeerlaubnis. Die verbliebenen Flüchtlinge mussten 14 Tage auf dem Schiff ausharren, bis Rackete entschied, dass es reicht.

Vorwürfe der italienischen Staatsanwaltschaft gegen Kapitänin Carola Rackete:

  • Widerstand gegen ein Militärschiff und Vollstreckungsbeamte
  • »Sea Watch 3« soll ein Boot der Finanzpolizei touchiert haben
  • Beihilfe zur illegalen Migration
  • Menschenhandel

Staatsanwalt Luigi Patronaggio ist der Ansicht, dass es keine gravierenden Probleme auf dem Schiff gegeben habe. »Es gab keine Notlage«, sagte er am Montagabend. Eine ärztliche Versorgung hätte auch außerhalb eines Hafens auf der Sea-Watch stattfinden können. Erst vor wenigen Tagen hatte dies auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geurteilt. Die Richter lehnten einen Eilantrag Racketes, mit dem Schiff in Italien anlegen zu dürfen, ab.

Ermittelt wird laut Patronaggio nun auch, ob der Rettungseinsatz unweit der libyschen Such- und Rettungszone notwendig war. »Wir werden die konkreten Methoden zur Durchführung der Rettung prüfen, das heißt, ob es Kontakt zwischen Menschenhändlern und der Sea-Watch gab«, erklärte Patronaggio. Es solle also geprüft werden, ob es eine »Rettungsaktion im Meer oder eine verabredete Aktion« war.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini bezeichnet Seenotretter immer wieder als Komplizen der Menschenhändler. Er will die Hilfsorganisationen komplett aus dem Mittelmeer verbannen. Die Regierung aus rechtradikaler Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung fährt seit einem Jahr einen harten Anti-Migrations-Kurs. Die Europäische Union erzielt auch weiterhin keine Einigung in der Flüchtlingspolitik. Rackete befindet sich hier zwischen den Fronten aus rechtsradikaler Politik Italiens, tatsächlicher Überlastung einiger Staaten mit europäischer Außengrenze zum Mittelmeer und nordeuropäischer Staaten, die sich auf die Dublin-Gesetzgebung zurückziehen und immer weniger Migranten aufnehmen, wie etwa Deutschland.

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Der Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland wies angesichts der Todesrate im Mittelmeer auf die Notwendigkeit der Seenotrettung hin. »Ich erwarte, dass sich Italien an seine humanistische und auch nautische Tradition erinnert«, sagte Dominik Bartsch der »Rheinischen Post« am Dienstag. »Selbstverständlich muss sich auch Sea-Watch an internationale und nationale Gesetze halten.« Aber in einer Notsituation hätten Leben und Gesundheit Priorität. Seit 2015 kamen nach UNHCR-Angaben fast 14.900 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ums Leben.

Der frühere Kapitän des Rettungsschiffs »Cap Anamur« und jetzige Flüchtlingsbeauftragte von Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, rechnet nicht mit einer schnellen Freilassung von Kapitänin Rackete. »Ich habe schlechte Erfahrungen mit den italienischen Behörden
gemacht. Damals hieß der Regierungschef Silvio Berlusconi - und der war schon schlimm«, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung« ebenfalls am Dienstag. »Wie damals bei uns läuft da ein politischer Prozess.«

Schmidt hatte 2004 mit der »Cap Anamur« Sizilien trotz Verbots angelaufen. An Bord waren 37 Flüchtlinge. Schmidt musste sich vor Gericht wegen Beihilfe zur illegalen Einreise verantworten. Er wurde Jahre später freigesprochen.

In Deutschland hat die Festnahme von Rackete eine Welle der Solidarität ausgelöst. Mehr als eine Million Euro an Spenden wurden hier und in Italien für Sea-Watch gesammelt. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich in die Sache eingeschaltet und
Italien wegen der Festnahme kritisiert. Mit Agenturen/nd

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