An die Flaute gewöhnt

Dem Windsurf-Weltcup auf Teneriffa mangelte es an Wind und Wellen, auch der Sport selbst schwächelt. Ein Blick hinter neonfarbene Segel und spiegelnde Sonnenbrillen.

Surfen heißt warten. Zumindest in dieser Weltcup-Woche in El Medáno. An der felsigen Bucht an der Südküste Teneriffas mangelt es im August 2019 am Wesentlichen. Anders als in den acht Jahren zuvor, in denen sich die besten Windsurfprofis hier jedes Mal einer steifen Brise und mächtiger Brecher erfreuen konnten, ist diesmal Flaute angesagt. Nur maßvoll zieht der sonst so herrische Passatwind an der felsigen Bucht vorbei. Im türkisblauen Atlantikwasser zeigt sich auch an diesem Freitagvormittag kaum Weiß - kein Start möglich in der Königsdisziplin Wellenreiten. Selbst die Teenager, die hier neuerdings im Rahmenprogramm um die WM-Titel U12, U14 und U17 mitfahren, fläzen gelangweilt auf Klappstühlen im Carpa herum, jenem Festzelt, das quasi das Zentrum der Veranstaltung ist. Genug Zeit für Gespräche mit den Protagonisten einer spektakulären Sportart.

Der Weltrekordler

Schon fünf Minuten vor der verabredeten Zeit kommt Philip Köster zum Carpa angeschlürft: T-Shirt, Shorts, Flipflops - ein bärenhafter Typ, der ein sonniges Lächeln im braun gebrannten Gesicht trägt. Er ist 1,93 Meter groß und 90 Kilo schwer, Surfer brauchen Kraft und Mut. Köster ist einer der Mutigsten. Der 25-jährige Deutsche wurde schon viermal Weltmeister in der Kategorie »Wave«. Er ist auf Gran Canaria aufgewachsen, die Eltern waren Surflehrer. Mit 12 startete er erstmals beim Weltcup, mit 15 gewann er sein erstes Rennen, mit 17 war er Champion des Windsurf-Weltverbandes PWA. »Messi des Windsurfens« oder »Wunderkind« heißt es seither über den Mann, der sich und sein Board vom Wind in furchterregende Höhen tragen lässt: 20 Meter - Weltrekord.

Längst hat »Red Bull« ihn unter Vertrag genommen, er warb für eine Automarke und mit seiner Schwester im deutschen Fernsehen für Pudding. Er ist einer der wenigen Schwerverdiener in seinem Sport - jedes Jahr komme ein höherer sechstelliger Eurobetrag zusammen, schätzen Branchenkenner. Köster lässt den Rummel mit Freundlichkeit über sich ergehen. Im Interview spricht er leise, oft beendet er seine Ausführungen mit einem verlegenen Feixen, selbst wenn es nur darum geht, dass er noch nicht aufs Wasser gekommen ist: »War schon traurig, die letzten Tage. Das Warten auf den Wind gehört dazu, wegen des Wetterberichtes weiß man ja meist schon vorher Bescheid. Aber das sind schon lange Tage - hehe.« Für den Weltcup hat er ein Haus in El Medáno gemietet: Seine Freundin, eine slowenische Stand-up-Paddlerin, ist ebenso dabei wie sein Vater, der als Techniker fungiert. Zudem reist stets auch ein sehr guter Surfer-Freund mit, der das Material vorbereitet. »Wie ein Caddy beim Golf«, sagt Köster. »Der filmt auch jede Trainingssession - für die Videoauswertung.«

Dass kein Wind kommt, passt Köster nicht in den Kram. Es gibt auf der PWA-Tour 2019 nur vier Wettbewerbe, so wenige wie noch nie: Gran Canaria, wo er gewonnen hat, jetzt Teneriffa, danach Sylt und dann Maui auf Hawaii. Er muss gelassen bleiben, will er dieses Jahr mal wieder gewinnen und wie 2011, 2012, 2014 und 2017 Weltmeister werden. Zu viel riskieren darf er jedenfalls nicht, den Dreifach-Loop, auf den alle warten, wird er nicht probieren: zu gewagt, wenn man die Tour gewinnen will. »Es gibt anders als in den Vorjahren keinen Streich-Wettkampf.«

Nur vier Wettbewerbe - ist Windsurfen aus der Mode gekommen? Köster zögert: »Es verteilt sich alles viel mehr. Die Kitesurfer sind dazugekommen, es gibt andere spannende Sportarten. Aber es ändert sich grade: Es kommen wieder viele Kids zu den Wettbewerben. Ich glaube, es geht wieder aufwärts.« Allerdings sind die Windsurferinnen und Windsurfer eher noch im Wellental. Nur die fünf, sechs Besten können gut davon leben. Ein Polster für die Zeit nach der Profi-Ära anlegen, das schafft außer Philip Köster und zwei, drei anderen Athleten kaum einer.

Der Hauptkampfrichter

Die Entscheidung, wann Wind und Welle ausreichen, um den Wettbewerb zu starten, fällt Duncan Coombs. Er sitzt in einem weißen Container am Strand und blickt mit seinen Jurykollegen direkt aufs Meer. Anstatt surfender Profis hat er momentan vor allem Wind- und Wettervorhersagen im Blick: Coombs gibt im Lauf des Tages immer wieder bekannt, ab wann sich die Athletinnen und Athleten für den Wettkampf bereithalten müssen. »Heute wird nicht viel passieren«, sagt der Head Judge der PWA-Serie, der Hauptkampfrichter. Auf einer Tafel schreibt er an, wie lang die Wertungsläufe sind, in denen die Profis jeweils eins gegen eins antreten. Und was sie zu zeigen haben. »Heat duration 10, Jump 2, Wave 1« steht dort noch vom gestrigen Nachwuchswettbewerb - zehn Minuten hatten die Fahrerinnen und Fahrer Zeit, ihre zirkusreifen Sprünge und die perfekten Wellenfahrten zu zeigen. Zwei Sprünge (Jump), eine Wellenfahrt (Wave) kamen in die Wertung. Je zwei Fahrer treffen aufeinander, die Jury vergibt die Punkte. Am Ende stehen die beiden Besten im Finale.

Wertungsrichtern im Sport wird stets viel Schlimmes unterstellt: Voreingenommenheit, Bevorzugung, Bestechlichkeit. Geht es im Surfen halbwegs gerecht zu? Head Judge Coombs schmunzelt: »Ich glaube, ja. Die Surferszene ist so klein, wir kennen einander alle zu gut für solchen Scheiß.« Coombs stammt aus Cornwall in England, er ist 51, lange Jahre selbst gefahren. Als er aktiv war, verdiente er gut, die Top-Fahrer wie Robby Naish oder Björn Dunkerbeck wurden Millionäre. Wie sieht es heute aus? »Als ich surfte, gab es nicht viele Extremsportler außer uns. Wir haben gut verdient«, erklärt er. »Heute hast du Surfer, Kitesurfer, Mountainbiker, Stand-up-Paddler: Du musst das Geld mit vielen anderen teilen.«

Die Gender-Kämpferin

Das Thema der Geldverteilung interessiert auch Iballa Moreno, dabei allerdings nicht so sehr die Frage, wie viel Umsatz die Windsurfer denn an andere verloren haben, sondern eher, wie das Preisgeld verteilt wird. Warum verdienen die Männer auf der Tour mehr als die Frauen? »Das ist ungerecht«, sagt die 42-Jährige. »Wir trainieren ebenso hart wie die Männer, sind genauso lange im Wasser, wir geben all unsere Kraft ins Surfen. Wir müssen dasselbe Geld für Reisen aufwenden, aber trotzdem ist unser Preisgeld niedriger. Und obendrauf müssen wir auch noch nebenher jobben.«

Dabei ist die schlanke, hochgewachsene Frau mit den muskulösen Oberarmen eine Legende des Surfsports: Seit 1999 surfen sie und ihre Zwillingsschwester Daida im Weltcup mit. Seither stand am Ende der Saison immer eine Moreno auf dem obersten Treppchen: elfmal Daida, neunmal Iballa. »Dennoch stehen wir immer im Schatten der Männer«, sagt Iballa Moreno.

Mit ihrer Schwester wollte sie ein Zeichen setzen: Sie überredeten die Sponsoren des Weltcups, den sie in Pozo auf ihrer Heimatinsel Gran Canaria seit 2011 selbst organisieren, das Preisgeld aufzustocken. Seit 2018 gibt es in Pozo keinen Gender-Pay-Gap mehr. Siegerin und Sieger erhalten jeweils 35 000 Euro. Vorher haben die Frauen 15 000 Euro bekommen, so wie es bis heute bei den anderen Rennen üblich ist. »Ich hoffe, dass wir viele Nachahmer finden«, sagt Iballa Moreno. »Möglichst auch in anderen Sportarten, denn es ist ja überall so.«

Die Surfkids

Womöglich profitiert dereinst Alexia Kiefer Quintana vom Einsatz der Moreno-Schwestern. Sie ist 14 und lebt ebenfalls auf Gran Canaria. Ihre Mutter ist von den Kanaren, ihr Vater Deutscher; gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Carlos surft sie seit vier Jahren regelmäßig. Beim ersten Weltcup 2019 in ihrem Heimatrevier kam sie gleich auf Platz fünf. »Unglaublich!«, sagt sie. »Und alle waten so nett zu mir.« Die Zehntklässlerin und ihr Bruder besuchen die deutsche Schule, ihr Vater Florian Kiefer, einst Surflehrer, lässt die Geschwister nur aufs Wasser, wenn die Noten stimmen.

Der zwölfjährige Carlos erweist sich bereits als Supertalent. »Der hat den Push-Loop, der wirklich schwer ist, in einer halben Stunde gelernt«, staunt seine Schwester. »Carlos hat einfach keine Angst.« Sie selbst traut sich den Sprung noch nicht zu. Doch das Surfen gefällt auch ihr. »Das Reisen ist toll. Und auf dem Wasser zu sein, ist sowieso das Beste. Die Wellen zu nehmen, ist so schön, man vergisst alles andere. Wenn ich Spaß habe, singe ich auf dem Board vor mich hin. Hört ja keiner. Ich bin allein und frei.«

Die Recherche wurde unterstützt von Turismo de Tenerife.

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