Treuhand-Schicksale als Ausstellung

Eine Schau der Rosa-Luxemburg-Stiftung berichtet von den Privatisierungsfolgen im Osten

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Was die Treuhand in Ostdeutschland vielerorts angerichtet hat, wurde in manchen Familien weitergegeben. Es hat bei ihnen mindestens eine Generation überdauert und Menschen zu Verlierern gemacht, die oft gar nichts dafür können, dass sie verloren haben. Menschen wie René Becker. Ein lebensgroßes Porträt von ihm steht nun im Kunsthaus in Erfurt. Auf dem Bild trägt er eine weiße Hose und ein orangefarbenes T-Shirt, auf dem »New York« und »Broadway« zu lesen ist. Orte, die er noch nie besucht hat. Über seinem Bild steht: »In zweiter Generation Hartz IV«.

Beckers Gesicht ist eines unter vielen. Weil das, was die Treuhand in Ostdeutschland angerichtet hat, sich nicht als eine einzige Geschichte erzählen lässt, sondern weil das, was ihr Agieren für Menschen bedeutet hat, vielfältig war und ist; wenn es auch nur selten etwas Gutes war. Davon berichtet die am Dienstag in Erfurt eröffnete Ausstellung der linksparteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) mit dem Titel »Schicksal Treuhand - Treuhand-Schicksale«, der das Thema dieser Schau ziemlich präzise umreißt. Etwa 30 Jahre nach der Wende will sie nicht nur einige der vielen Geschichten erzählen, die sich für Millionen Ostdeutsche mit der Treuhand verbinden. Sie baut eine Brücke vom damals ins Heute, weil sie einen Erklärungsansatz für die Realität in den Ostländern im Jahr 2019 bietet.

Bei den in den nächsten Wochen anstehenden drei Landtagswahlen wird sich zeigen, wie unzufrieden viele Menschen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg mit der Demokratie sind, die die DDR-Bürger 1989 erkämpft haben. Auch deshalb wird die vom Unternehmen Rohn-stock-Biografien kuratierte Ausstellung in den nächsten Wochen weiterwandern. Anfang September wird sie in Dresden eröffnet, Ende September in Crimmitschau, Anfang November im brandenburgischen Lauchhammer.

Während die Treuhand bei ungezählten Beschäftigten von volkseigenen Betrieben in die Mitte ihres Lebens trat, war Becker - dessen Namen die Ausstellungsmacher geändert haben - noch ein kleines Kind. Er wurde 1988 im sächsischen Riesa geboren, seine Eltern heirateten im September des gleichen Jahres, sie waren berufstätig. »Zwei Jahre später übernahm die Treuhand den Betrieb und legte ihn 1992 still«, erzählt Becker im Begleitheft der Ausstellung. »Jahrelang fanden meine Eltern keine Stelle.« Die Mutter bekomme noch heute Hartz IV. Sein Vater habe zwischendurch als Zeitarbeiter auf dem Bau gearbeitet. »Mit vier Kindern hatten sie es nicht leicht. Doch sie waren immer für uns da.«

Wie sehr die Treuhand und die Schicksale, die sich mit ihr verbinden, die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern noch immer bewegen, wird schon daran deutlich, dass das Kunsthaus all die Menschen gar nicht fassen kann, die zur Ausstellungseröffnung gekommen sind. Drinnen Linkspolitiker wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Gregor Gysi und die RLS-Vorstandsvorsitzende Dagmar Enkelmann. Sie erzählen, wie sie mit der Treuhand und der Aufarbeitung ihrer Geschichte gerungen haben; Ramelow bekanntlich als Gewerkschafter in Thüringen beim am Ende erfolglosen Kampf gegen die Schließung des Kalibergwerkes in Bischofferode. Nun fordert er, dass auch der DGB und dessen Einzelgewerkschaften ihren Anteil an der Geschichte der Treuhand aufarbeiten müssten. Immerhin, sagt Ramelow, habe damals die westdeutsche IG Bergbau darauf gedrängt, die potenzielle Konkurrenz aus dem Osten für Gruben in Westdeutschland dichtzumachen.

Dann schlägt Ramelow den Bogen von damals ins Heute: »Wenn man wissen will, warum wir nicht erhobenen Hauptes in diese neue Welt gegangen sind«, sagt er und meint den Weg der Ostdeutschen aus der planwirtschaftlich organisierten DDR in das marktwirtschaftlich geprägte Gesamtdeutschland, »dann hat das mit diesem Kampf zu tun, bei dem am Ende die Betriebe mit einem Federstrich zerstört worden sind.«

Ein gesenktes Haupt führt zu Frust, zu Unzufriedenheit, zu Demokratieverdrossenheit. Nicht alleine. Aber es trägt maßgeblich dazu bei. Becker erlebte Zeit seiner Kindheit und Jugend mit, wie es ist, wenn Menschen arbeitslos sind, kein Geld haben, in der Gesellschaft nicht viel zählen, weil sie sich nicht über ihren Job profilieren können. Im Jahr 2008 schloss er seine Ausbildung als Verkäufer ab - und fand keine Arbeit. Nachdem die Treuhand nicht nur den Betrieb seiner Eltern, sondern auch Tausende andere Unternehmen im Osten abgewickelt hatte, gab es in den 1990er und auch den 2000er Jahren noch fast überall im Osten Deutschlands und fast in allen Branchen viel mehr Bewerber als offene Stellen. Bald darauf rutschte er gänzlich ab: Alkohol, Mietschulden, Hartz IV, ein Platz im Obdachlosenheim.

Ganz langsam kämpft er sich aber wieder nach oben. Seit Kurzem arbeitet Becker in der Produktion eines großen Elektronikunternehmens.

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