Der Himmel, unter dem ich lebe

Ein Mädchen namens Tochter, ein Roboter namens Mutter: der Sci-Fi-Thriller »I Am Mother«

  • Felix Bartels
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Eisenarme des Roboters wiegen ein menschliches Baby. Es weint, hustet, schläft ein. Der Roboter erwacht, als es wieder schreit; er stillt es mit der Flasche, singt ihm vor. Das Kind spielt mit einem Mobile, lacht, tut die ersten Schritte, liest sein erstes Buch. »Mutter« kümmert sich, und in der Tat entsteht etwas wie Wärme zwischen dem kalten und dem warmen Wesen, während der Film in diesen ersten Minuten von Cut zu Cut große Sprünge in der Zeit macht, bis wir ein pubertierendes Mädchen mit seiner elektrischen Mutter sehen. Die Frage, die sich Regisseur Grant Sputore am Anfang gestellt haben will, lautet: »Wie wäre es, von einer Maschine aufgezogen zu werden?« Dass das Skript am Ende eine Gestalt erhielt, die diese Frage grundlegend veränderte, ist eine der Stärken des Films.

Indem das Gedankenspiel in ein singuläres Setting verpflanzt wurde, behandelt es viel mehr als bloß das Verhältnis von Technik und Humanität. Ein Mädchen (Clara Rugaard) verbringt seine Tage in einem Bunker. Es weiß nichts über die Welt draußen, während die nicht in den Bunker dringen kann. Kaum mehr weiß das Mädchen über sich. Den Roboter (Körper: Luke Hawker, Stimme: Rose Byrne), mit dem es zusammenlebt, nennt es »Mutter« und wird von ihm »Tochter« gerufen. Den spärlichen, stets didaktisch vermittelten Informationen entnimmt man, dass die Menschheit vor langer Zeit vernichtet worden sei. Mutter, wer immer sie konstruiert und programmiert hat, verfolgt mit der Sorge um Tochter den auf lang angelegten Zweck, die Erde erneut mit Menschen zu besiedeln. Die Beziehung beider funktioniert selbst wie eine Maschine, jede Bewegung hat einen Sinn, der Tag ist getaktet, Abweichungen werden umgehend auf Gefahr hin begutachtet, alles ist Lernen und Ausbildung. Das wird gestört, als eine fremde Frau (Hilary Swank) schutzflehend vor dem Tor des Bunkers erscheint und von Tochter aus Mitleid hereingelassen wird. Nicht bloß der tägliche Ablauf, das gesamte Weltbild ist bald erschüttert, und damit beginnt ein kompliziertes Schachspiel zwischen drei Akteurinnen, in dessen Verlauf Angreifer und Verteidiger, Täuscherin und Getäuschte mehrfach wechseln. Ein von Beginn subtil als bedrohlich inszeniertes Intimverhältnis entblättert sich Schicht für Schicht.

Die Erzählung erinnert damit an Werke wie »2001: A Space Odyssey« (1968), »Moon« (2009) oder »10 Cloverfield Lane« (2016), worin Isolation von der Außenwelt als ein Szenario gezeigt wird, das im Innern ebenso Verbundenheit stiftet, wie es die äußere Bedrohung reproduziert. Die Fabel wird dabei stets vom Gefälle der verschiedenen Wissensstände vorangetrieben. Eine Figur hält Informationen zurück, meist im Glauben, dass es das Richtige für die anderen sei. Und »I Am Mother« schafft bei der Auslegung dieses Settings durchaus ein eigenständiges dramaturgisches Muster. Das liegt an der gebrochenen Fabel, die zur Hälfte Kammerspiel, zur anderen Adventure ist. Was an Rissen nicht zu klammern war, wird durch einen Handlungs- und drei Erkenntnistwists überbrückt, die im Moment zu wirken wissen, retrospektiv aber ein wenig ratlos machen. Nicht nur, dass man sich im Angesicht eines großen Plans, der sich am Ende zu erkennen gibt, fragt: Wozu denn jetzt das Ganze? Man dächte es weniger mürrisch, wenn er wenigstens in sich stimmig wäre. Schwer vorstellbar scheint nämlich, dass jemand ein detailliertes Szenario ersinnt, dessen Gelingen abhängig von zahlreichen Unwägbarkeiten bleibt. Und zur Glaubhaftigkeit eines Geschehens gehört nicht nur, dass der Zuschauer es sinnvoll findet, für die Figuren selbst muss es einen Sinn ergeben haben. Hinzu treten ganz punktuelle Schwächen wie etwa bei der Etablierung des ersten Twists, als Tochter entdeckt, dass sie die Laborkennung »Arch03« (in griechischer Schrift) trägt und trotz ihrer gründlichen Bildung den naheliegenden Schluss über ihre Herkunft nicht zieht. Viele Szenen später dann wird eben das, was sich leicht denken ließ, als große Enthüllung präsentiert, offenbar, weil die Macher mit derselben Schläfrigkeit beim Zuschauer rechneten, die sie ihrer Figur eingeschrieben haben. Dergleichen verärgert, weil es so leicht vermeidbar war.

Von der Produktionsseite her scheint der Film makellos. Das permanente Dröhnen ist konventionell, aber effektiv. Die Entscheidung, den Roboter plastisch zu konstruieren, hat sich ebenso gerechnet wie die, mit Luke Hawker den Konstrukteur selbst in den Anzug zu stecken. Das Blocking stiftet nicht selten tiefe Eindrücke, etwa wenn zwei Charaktere mit einer Trennscheibe gespiegelt werden und derart ein Verhältnis, das später wichtig sein soll, etabliert wird. Mehrfach nehmen Handlungsgeschehen und Dialog verschiedene Wege; Gespräche werden fortgeführt oder begonnen, obwohl die Szene noch oder schon etwas anderes zeigt. Die Beleuchtung arbeitet beinahe destruktiv, so dass selbst der Raum, den man gerade sieht, unergründlich bleibt. Desgleichen entsteht durch das Szenenbild nie eine Übersicht für die Architektur des Bunkers, der stets eng wirkt, obgleich er weitläufig zu sein scheint. Wir bewegen uns mit Tochter in diesem Raum und erhalten beides: das Wissen um die Begrenztheit des Baus und das Gefühl, ihn nicht vollständig erfasst zu haben. Gerade so, wie Kinder den Himmel erleben, den ihre Eltern für sie bedeuten.

All das arbeitet einer sorgfältig erdachten Psychologie zu. Denn unabhängig vom Technik-Sujet lässt sich das Geschehen als sinnliches Bild fürs menschliche Heranwachsen auffassen, und das ist die stärkere Seite des Films. Heranwachsen vollzieht sich zwischen Bindung und Abnabelung. Die Eltern sind nicht bloß Behüter und Lehrer, sie sind, wie gesagt, dem Kleinkind der Himmel, unter dem es sich bewegt, oder ein Gebäude, wenn man so will, ein Bunker. In der frühkindlichen Etappe lehren sie nicht das Realitätsprinzip, sie verkörpern es. Späterhin - durch das Auftreten dritter Personen (großer Geschwister, Pädagogen etc.) - sinken sie zu Posten innerhalb des Systems herab, immer noch primär, aber nicht mehr alles durchdringend. Am Ende steht die organische Abnabelung mit der jugendlichen Rebellion und dem Gründen eines eigenen Lebens. Eben das passiert in »I Am Mother«, ausgelöst durch das Erscheinen einer dritten Person, was zugleich in den funktionellen Figurennamen (Mutter - Tochter - Frau) zum Ausdruck kommt.

Dennoch wird das formidable Konzept durch die fortschreitende Handlung liquidiert. Der große Plan macht die Bedeutung heischenden Verhältnisse vulgär, stutzt sie zu bloßer Inszenierung herab. Und nicht nur das Setting wird zum Fragment - die Figurenzuschreibung verändert sich. Das Problem, inwieweit Technik unser Leben beherrsche, mithin, wie weit eine konkrete Macht umfassende Macht repräsentieren könne, wird angerissen, aber recht eigentlich nicht behandelt. An die Stelle des Interesse weckenden Inhalts tritt der Thriller. Spannung konstituiert sich dann nur noch übers Dramaturgische (Täuschung, Gegentäuschung, Lüge, Enthüllung), und am Ende kauert eine Wahrheit, aus der nichts folgt.

»I Am Mother«, Australien/Neuseeland 2018. Regie: Grant Sputore. Darsteller: Hilary Swank, Rose Byrne, Clara Rugaard. 115 Min.

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