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Viele blinken links

Alle Kandidaten für den SPD-Vorsitz fordern mehr Steuern für Reiche. Für eine echte Abkehr von Hartz IV sind nur einige

Der Kandidaturverzicht von Kevin Kühnert ist symptomatisch für den Zustand der SPD. Als Hoffnungsträger gegen das Parteiestablishment von vielen insbesondere jüngeren Genossen gefeiert, weiß er sich in entscheidenden Momenten stets geradezu staatsmännisch zurückzunehmen. Er demonstriert damit gegenüber eben jenem Establishment Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein – und empfiehlt sich so für größere Aufgaben in der Zukunft. Dabei wäre Kühnert, gerade weil er kein Abgeordnetenmandat auf Landes- oder Bundesebene oder ein hohes Parteiamt innehat, der mit Abstand glaubwürdigste und zugleich prominenteste Vertreter der Parteilinken und damit ein ernstzunehmender Widerpart für Parteigrößen wie Scholz gewesen. Außerdem hat der 30-Jährige in der Öffentlichkeit mit der Forderung nach Kollektivierung etwa von Automobilkonzernen und der Begrenzung von Eigentum an Wohnungen so vernünftige wie radikale Positionen vertreten, die, gewönnen sie mehr Unterstützer in seiner Partei, dieser durchaus wieder Leben einhauchen könnten.

Doch das soll nach dem Willen Kühnerts – noch – nicht sein. Gegenüber dem »Spiegel« begründete er seinen Kandidaturverzicht am Mittwoch einerseits damit, dass er sich nicht sicher sein könne, »das Amt im Erfolgsfall auch mit aller Konsequenz ausfüllen zu wollen und zu können«. Das zweite Argument Kühnerts ist taktischer Natur. Nachdem Bundesfinanzminister Scholz sich doch noch um den Parteivorsitz beworben habe, sei seine Sorge gewesen, dass, träte er selbst an, die SPD in eine Art »Arena-Stierkampf hineinlaufen« würde, sagte Kühnert in einer Videobotschaft. Die Frage des künftigen Kurses der Partei würde dadurch »zurückgedrängt«. Dem »Spiegel« sagte er, eine solche Inszenierung schade der SPD. Die sei »eine politische Partei und keine Unterhaltungssendung«.

Dass die Tour der mittlerweile 20 Bewerberinnen und Bewerber, auf der sie sich ab dem 4. September auf 23 Regionalkonferenzen in allen Bundesländern der Diskussion mit der Parteibasis stellen werden, in Teilen einer Casting-Show ähneln wird, stand aber schon lange vor der Bewerbung von Scholz und seiner Tandem-Partnerin Klara Geywitz fest.

Statt zweier profilierter Parteilinker treten nun Vertreter verschiedenster Gruppierungen an, die sich als links des SPD-Mainstreams einordnen. Für mehr Sozialismus sprechen sich unter ihnen explizit nur Hilde Mattheis und Dierk Hirschel aus. Die langjährige Hartz-IV- und GroKo-Kritikerin Mattheis, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21 (DL21), ist noch eine der bekanntesten Repräsentantinnen jener Genossen, die nicht erst seit 2017 für Bündnisse mit der Linkspartei werben. Der aus Nürnberg stammende Hirschel ist zwar Chefökonom der Gewerkschaft ver.di. Außerhalb der DL21 dürften ihn aber vergleichsweise wenige SPD-Mitglieder kennen.

Positionen, die innerhalb der SPD als links gelten, vertreten neben Mattheis und Hirschel die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan und ihr Tandempartner, Parteivize Ralf Stegner, das kommunalpolitische Ost-West-Duo Simone Lange/Alexander Ahrens sowie die Bundestagsabgeordneten Nina Scheer und Karl Lauterbach. Gemeinsam ist ihnen, dass sie das mit Zwang zur Aufnahme nahezu jedes Jobs und teilweise drastischen Kürzungen am Existenzminimum Hartz-IV-Regime nicht nur »hinter sich lassen« wollen wie Exparteichefin Andrea Nahles, sondern dass sie mehr oder weniger deutlich seine Abschaffung fordern. Für Schwan sind die Arbeitsmarktreformen der Jahre 2004 und folgende der Grund für den Niedergang der Partei. Hirschel moniert, die SPD habe damit die Verhandlungsmacht der Beschäftigten drastisch geschwächt. Und er widerspricht dem in der Partei gepflegten Mythos, Hartz IV habe die Konjunktur gestärkt und Jobs geschaffen. Die Konjunktur sei vor allem durch ausländische Nachfrage nach hochpreisigen Fahrzeugen und Maschinen induziert worden, sagte er auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die Etablierung des größten Niedriglohnsektors in Europa durch Hartz IV, derer sich Altkanzler Gerhard Schröder rühmte, habe vielmehr nicht nur den Werktätigen geschadet, sondern auch dem Teil der Wirtschaft, der von einheimischer Nachfrage abhängig ist.

In der Ablehnung des weiteren Mitregierens in der Großen Koalition sind sich auch die parteilinken Duos keineswegs einig. Während die DL21-Kandidaten das Klein-klein der vielen Kompromisse, etwa bei der Unterstützung von Kindern aus armen Familien oder 1beim Rückkehrrecht aus Teilzeit- in Vollzeitarbeit als wesentlichen Grund für die Krise der SPD sehen, halten Schwan und Stegner dies für nicht ausschlaggebend. Sie wollen die bis Mitte Oktober vom Bundesvorstand zu erarbeitende Halbzeitbilanz der GroKo abwarten und dem Votum der Genossen auf dem Parteitag im Dezember darüber folgen, ob und wie lange die SPD noch in der schwarz-roten Bundesregierung bleiben soll. Lauterbach und Scheer fordern eine schnelle Mitgliederbefragung über den Fortbestand der GroKo.

Die Ausrichtung der Bundeswehr auf Interventionen statt auf strikte Landesverteidigung spielt letztlich bei keinem der Bewerberduos eine Rolle. Die geplante gemeinsame Armee der EU wird von den allermeisten Sozialdemokraten ohnehin nicht hinterfragt. Immerhin sprachen sich mehrere Duos für die drastische Reduzierung von Rüstungsexporten aus. Mattheis/Hirschel forderten am Freitag anlässlich des bevorstehenden Antikriegstages, die SPD müsse »wieder zur konsequenten Abrüstungs- und Friedenspartei werden«. In einer gemeinsamen Erklärung sprechen sie sich gegen die insbesondere durch Bundesaußenminister Heiko Maas unterstützte Politik der »nuklearen Teilhabe« und für einen Beitritt Deutschlands zum UN-Atomwaffenverbotsvertrag aus. Auch der Abzug der US-Atomsprengköpfe aus dem rheinland-pfälzischen Büchel müsse endlich durchgesetzt werden. Allerdings betonten auch die DL21-Kandidaten auf nd-Nachfrage, in der Friedens- wie auch in der Asylpolitik gebe es deutliche Differenzen zwischen ihnen und der LINKEN.

In der Forderung nach höheren Spitzensteuersätzen und nach der Wiedereinführung der 1997 ausgesetzten Vermögensteuer sind sich derweil fast alle Kandidaten einig. Selbst Finanzminister Scholz tritt dafür ein – und bereits seit längerem für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde. Nach Angaben von Dierk Hirschel sind dem Staat durch die Steuerreformen von Rot-Grün zugunsten von Konzernen und Vermögenden ab Anfang der Nullerjahre jährlich 50 Milliarden an jährlichen Einnahmen entgangen. Das von der SPD bislang präferierte Modell der Vermögensteuer würde zehn Milliarden Euro pro Jahr bringen und damit gerade mal den von der GroKo beschlossenen Wegfall des Solidaritätszuschlages ab 2020 für 90 Prozent der Zahler ausgleichen.

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