Hurra, keine Katastrophe!

Tim Wolff über «Zeit»-Mensch Martin Machowecz

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gibt Momente im Leben, da blickt man zurück und stellt fest: Unglaublich, wie schnell der Mensch lernt.« Wenn das stimmt, bin ich kein Mensch. Denn ich habe immer noch nicht gelernt, das Weite zu suchen, wenn ein Artikel in der »Zeit« mit einem solchen Satz beginnt. Erst recht, wenn Überschrift und Unterzeile lauten: »Hurra, wir sind politisiert! Ein Erfolg der AfD in Brandenburg und Sachsen muss keine Katastrophe sein«. Um diese nonchalante, arschliberale Haltung zu servieren, die sich nur leisten kann, wer nicht unmittelbar von Nazis bedroht ist und also nicht etwa per Fackel an der Notunterkunft politisiert wird, muss »Zeit«-Mensch Martin Machowecz erst mal blöd begeistert auf die Spezies schauen. »Nach zwei Jahren kann man eine neue Sprache beherrschen, leidlich gut. Man kann binnen zwei Jahren ein Zen-Buddhist werden, alternativ ein Karatekämpfer.«

So viel Beliebigkeit in drei Sätze zu packen, das lernt dagegen mancher nie. Aber Machowecz kann es, weil er eine Journalistenschule besucht und von den Besten bei der »Zeit« gelernt hat. »Auch eine Demokratie kann in zwei Jahren lernen. Wenn an diesem Sonntag in Ostdeutschland zwei Landtage gewählt werden, zwei Jahre nach der Bundestagswahl 2017 - dann könnte es sein, dass wir feststellen: Diese Demokratie beherrscht inzwischen auch Zen-Buddhismus und Karate, und sogar eine andere Sprache.« Ein Satz, der sich eindrucksvoll selbst bestätigt. »Es könnte sein, dass dieser Wahltag eine Zäsur wird, aber eine Zäsur auch im Guten: weil die vergangenen beiden Jahre nicht nur schlecht waren, wie auch immer Sachsen und Brandenburger entscheiden. Denn die Republik beginnt, besser zu verstehen, was gegen den Populismus hilft.« Selbst wenn die Sachsen und Brandenburger der AfD zu absoluten Mehrheiten verholfen hätten, hätte also die Republik begonnen zu verstehen, was gegen Populismus hilft. Sollte das diese neu erlernte Sprache der Demokratie sein, braucht sie dringend Nachhilfe.

Die Demokratie spricht aber so dämlich aus dem »Zeit«-Mann, weil es auch ein bisschen um ihn geht. Denn die »Zeit« betreibt seit Jahren eine Normalisierung des Rechtsextremen, indem sie die Ansichten von AfD und Co. gepflegt pro und kontra diskutiert. Und das soll doch etwas Gutes sein: »Wer im Osten mit AfD-Wählern spricht, stellt irgendwann fest: Ihr AfD-Wählen war offenbar eine Art Emanzipation. Nicht für alle, doch für viele. Sie haben sich politisch bekannt.« Hurra! »Damit soll nicht die Gefährlichkeit der AfD relativiert werden, auch nicht ihre teilweise Nähe zu harten Rechten.« Gewiss, gewiss. »Aber diejenigen, die früher Nichtwähler waren, ... die haben ihre Unzufriedenheit jetzt artikuliert. Dadurch wurden sie politisch sichtbar. Man kann sich mit ihnen und ihren Anliegen auseinandersetzen.« Eben. Was wäre gewonnen, wenn Nazis nicht gehört würden?

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Man hätte so viele wichtige Debatten verpasst, die es sonst garantiert nicht gegeben hätte: »Es kam ja tatsächlich alles auf den Tisch, es wurde alles diskutiert: die Nachwendezeit, die Lohnungerechtigkeit, die Einstellung zu Migration und Klimawandel … So hatte das AfD-Wählen einen aufrüttelnden Effekt: Deutschland hätte über sein inneres Verhältnis nicht so kontrovers, nicht so leidenschaftlich diskutiert, wenn es die AfD nicht nach oben gespült hätte.« Wenn Deutsche leidenschaftlich werden, das weiß man in angrenzenden Ländern, sterben früher oder später Millionen. Eine Katastrophe, von der sich Deutschland traditionell gut zu erholen weiß. Weswegen Machowecz so furchtlos begrüßen kann, dass seine Republik mal wieder sein Innerstes nach außen kehrt: »Der gesellschaftliche Riss ist ja nicht durchs AfD-Wählen entstanden. Er war lange vorher da. Er ließ sich nur vorzüglich ignorieren.« Leidlich bessere Zeiten waren das.

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