Leere Schlachtfelder

Christoph Ruf über den Streik der Berliner Schiedsrichter gegen Gewalt auf Fußballplätzen und schlechte Vorbilder

Im Berliner Amateurfußball haben am vergangenen Wochenende die Schiedsrichter gestreikt. Gähnende Leere auf all den Plätzen, auf denen sonst von acht Uhr morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit Hochbetrieb herrscht: Der Berliner Fußball-Verband (BFV) hatte alle, also fast 1600, Spiele abgesagt. Zuvor hatten bereits die Amateurschiedsrichter im Saarland gestreikt. Dort wurde Anfang September wegen eines gewalttätigen Angriffs auf einen Schiedsrichter bei einem C-Jugend-Spiel (!) ein landesweites Protestwochenende ausgerufen.

Diesmal waren es die Berliner. Der Grund war der gleiche: Die Respektlosigkeiten gegenüber den Spielleitern nehmen zu, in der Hauptstadt um 20 Prozent allein in dieser noch jungen Saison. Jeder siebte Referee ist schon mal körperlich angegangen worden.

Nachwuchs lässt sich unter diesen Bedingungen nur schwer für die Pfeiferei gewinnen. Wer will sich schon für ein paar Euro Benzingeld sonntags vollregnen lassen und sich dabei die wüsten Beschimpfungen verhaltensgestörter Eltern oder von Spielern anhören, die offenbar nicht in der Lage sind zu begreifen, was sie anrichten, wenn sie einen 15-Jährigen fertigmachen, der gerade sein drittes D-Jugend-Spiel pfeift.

Nun ist so ein Streiktag erst mal ein Signal - auch dieser Artikel wäre ansonsten wohl nicht entstanden. Ob er allerdings das gewünschte Ziel erreicht? Es ging schließlich auch darum, Spielern und Zuschauern einmal vor Augen zu führen, was es bedeutet, wenn an einem Wochenende mal diejenigen ausfallen, ohne die es zumindest in einem Ligasystem des Deutschen Fußball-Bundes wirklich nicht geht. Skepsis ist angebracht, sie sprach auch aus den Worten des BFV-Vizepräsidenten Gerd Liesegang, der ein ebenso angenehmer wie reflektierter Zeitgenosse ist. Wenn alle DFB-Regionalfürsten und ihre Stellvertreter so wären wie er, hätte der Verband wohl kein Imageproblem mehr.

Liesegang war noch nie einer, der sich wegduckt. Nicht, wenn es um Gewalt auf Amateurplätzen geht, aber auch nicht, wenn es um Rassismus, Homophobie oder ethnisch aufgeladene Konflikte geht, die sich ebenfalls auf Fußballplätzen entladen. Liesegang hat dann am Wochenende auch völlig zurecht darauf hingewiesen, dass die Fragen nach Gewalt und Respektlosigkeiten grundsätzlichere sind als die nach Abseits oder Einwurf. Letztlich sei es die Frage, »wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen wollen«.

So ist es. Denn bei allem Salbadern über die so völkerverbindende, gemeinschaftsstiftende Kraft des Fußballs wird ja gerne übersehen, wofür der Fußball für viele Menschen eben auch steht: Für ein Schlachtfeld unter vielen, das nach den Regeln der individuellen Profitmaximierung zu funktionieren hat. Genau deshalb vermitteln Mütter und vor allem Väter, die es gemessen an ihren eigenen Ansprüchen zu nichts gebracht haben, ihren Kindern schon früh, dass sie mit dem Ball all das kompensieren müssen, was sie selbst verbockt haben. Und wenn der kleine Lasse oder der kleine Ahmed dann doch nicht das Zeug zum nächsten Messi oder Ronaldo haben, wird’s am Abendbrottisch ungemütlich.

Ungemütlich wird es aber vor allem beim nächsten Spiel von Ahmed oder Lasse. Denn die beiden lernen früh von ihren Eltern, dass alles erlaubt ist, was Erfolg bringt. Und wenn es die Schwalbe ist, das ununterbrochene Volllabern des Schiedsrichters, die Tricksereien und Lügen, die dem Fußball so oft schon in der F-Jugend all das nehmen, was man mit dem Begriffspaar »Fußball« und »spielen« verbinden würde.

Wohlgemerkt, all das lässt sich schon im Kinderfußball beobachten. Dort, wo der Badische Fußballverband aus gutem Grund vorschreibt, dass die Eltern ein Spiel ihrer Kinder nicht von der Seitenlinie aus beobachten dürfen. Sondern nur mit Sicherheitsabstand von einem Platz hinter den Toren. Richtig schlimm wird es dann zuweilen im Erwachsenenfußball, wenn die große Karriere längst innerlich beerdigt wurde, das Testosteron aber noch ungebremst durch die Adern fließt.

Am Wochenende stand am anderen Ende der Republik im Übrigen ebenfalls die Schiedsrichterei im Mittelpunkt. Die Nürnberger »Akademie für Fußballkultur« ehrte Pierluigi Collina für sein Lebenswerk. Dass der ehemalige FIFA-Referee den Preis zurecht erhielt, zeigte er in seiner Dankesrede. Er nehme den Preis nur stellvertretend an. »Für alle die auf den vielen kleinen Plätzen etwas ganz Wichtiges tun: Kindern zu ermöglichen, Fußball zu spielen.«

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