Ratlos an die Spitze

Keines der beiden SPD-Kandidatenduos hat neue Ideen, mit denen die Partei wieder Erfolg haben könnte

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Willy-Brandt-Haus herrscht eine gespenstische Stille. Auf dem Podium stehen Olaf Scholz und Klara Geywitz an einem weißen Tisch. Rechts neben ihnen haben sich Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken platziert. Es geht um viel. Beide Duos wollen an die Spitze der Partei. Basismitglieder der SPD, die über die neuen Vorsitzenden entscheiden werden, sind anders als bei den vorangegangenen Regionalkonferenzen bei der Veranstaltung nicht zugelassen. Zuschauer können sich bei der Liveübertragung ein Bild von den Kandidaten machen, ohne von Applausstürmen aus dem Publikum beeinflusst zu werden. Eine Moderatorin leitet durch den Abend.

Die Bundestagsabgeordnete Esken und der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Walter-Borjans sind als Kritiker der Großen Koalition in die Stichwahl eingezogen. Als Walter-Borjans anfängt, über die erst kürzlich erfolgte Einigung der Großen Koalition zur Grundrente zu reden, wird er sofort von Finanzminister Scholz unterbrochen. Denn der Nordrhein-Westfale benutzt fälschlicherweise den Begriff »Grundsicherung«. »Das ist keine Grundsicherung, sondern die Grundrente. Wir haben es damit geschafft, Menschen aus der Grundsicherung herauszuholen«, ruft Scholz aggressiv.

Walter-Borjans muss einräumen, dass 1,5 Millionen Menschen, die langjährig versichert waren, von der Regelung profitieren werden. Aber die SPD habe sich von der Union »daran hindern lassen«, weitere zwei Millionen Menschen einzubeziehen.

Scholz kann es nicht nachvollziehen, dass sein Konkurrent »Erfolge der SPD in der Koalition kleinredet«. Die Brandenburgerin Geywitz assistiert ihm. »In der Koalition mit der Union können wir nicht unser gesamtes Programm durchsetzen. Wir haben es in der Frage der Grundrente aber geschafft, noch mehr herauszuholen, als im Koalitionsvertrag steht«, konstatiert sie.

Walter-Borjans und Esken wollen hierbei auch nicht widersprechen. Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Scholz Vizekanzler und Finanzminister bleiben könnte, wenn sie den internen Wettbewerb gewinnen sollten. Sie wollen dann aber die programmatischen linken Forderungen der SPD stärker in den Vordergrund stellen. Über einen möglichen Ausstieg der Sozialdemokraten aus dem Bündnis mit der Union sagt Esken nur, dass darüber die Delegierten des Bundesparteitags im Dezember entscheiden werden. Ihr Partner und sie haben sich bisher noch nicht eindeutig zu einem möglichen vorzeitigen Ende der Großen Koalition geäußert.

In der Bundestagsfraktion hat Esken viele Entscheidungen der Bundesregierung mitgetragen. Sie bezeichnet das schwarz-rote Klimapaket, das am Freitag vom Bundestag verabschiedet werden soll, als »Klimapaketchen«. Scholz wirft ein, dass das Paket gerade erst einstimmig von der SPD-Fraktion angenommen worden ist. »Es scheint also gar nicht so schlecht zu sein«, sagt er.

Ein schlüssiges Erfolgskonzept, mit dem die SPD aus ihrer Misere herauskommen könnte, hat keines der beiden Duos. Scholz meint, dass die SPD wieder eine Chance bei Wahlen habe, wenn sie vernünftig agiert. Das bedeutet für ihn und Geywitz das Festklammern an der Großen Koalition. Die Unterstützung zahlreicher Funktionäre wie Justizministerin Christine Lambrecht, Familienministerin Franziska Giffey, Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist ihnen sicher.

Dagegen werben die Jusos und NRW-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty für das eher linke Duo. Walter-Borjans sagt, dass die SPD »neue Köpfe« brauche. 30 Prozent könnten sich vorstellen, seine Partei zu wählen, aber in Umfragen liege sie bei nur etwa 14 Prozent. »Ich will auch die anderen 16 Prozent gewinnen«, kündigt Walter-Borjans an. Hauptpunkte von Esken und ihm sind eine gerechtere Umverteilung und mehr Rechte für Beschäftigte. Esken nennt hier etwa den Kampof gegen sachgrundlose Befristungen von Arbeitsverträgen. Diese sollen allerdings laut Koalitionsvertrag bald eingeschränkt werden. Neu ist diese Idee also ebenso wenig wie die Wiederbelebung der Vermögensteuer, die schon in zahlreichen Programmen der SPD stand, aber nie umgesetzt wurde.

Andere interessante Themen werden an diesem Abend nicht angesprochen. Etwa, warum die SPD-Minister im Bundessicherheitsrat in der Vergangenheit für deutsche Rüstungsexporte in Länder wie Saudi-Arabien gestimmt haben, die am Krieg in Jemen beteiligt sind. Es bleibt abzuwarten, ob solche Fragen beim nächsten Aufeinandertreffen der Duos eine Rolle spielen werden. Am 18. November sind sie bei einer Sonderausgabe des Polittalks »Berliner Salon« vom RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) eingeladen. Die Runde wird live im Fernsehen übertragen.

Die Abstimmung der SPD-Mitglieder beginnt am 19. und endet am 29. November. Das Ergebnis wird einen Tag darauf im Willy-Brandt-Haus präsentiert. Das letzte Wort haben die Delegierten des Bundesparteitags vom 6. bis 8. Dezember.

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