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Erschwingliche Räume der Möglichkeiten

Ländliche Regionen werden als Orte zum Arbeiten und Leben wieder attraktiv, wenn es die passende Infrastruktur gibt, meint Anke Domscheit-Berg

  • Anke Domscheit-Berg
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land ist im Grundgesetz verankert. Von der Realität ist dieser Anspruch weit entfernt; dennoch waren die Perspektiven für den ländlichen Raum wohl nie so gut wie jetzt. Aktuell wohnt in Deutschland jeder Fünfte auf dem Land. Frühere Artikel über die Zukunft des ländlichen Raumes beschrieben aussterbende Regionen. Aber inzwischen wollen 44 Prozent der Deutschen am liebsten auf dem Land leben.

Ein stärkeres Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit nährt den Wunsch nach mehr Nähe zur Natur. Statt Betonwüsten lockt ein Blick auf Wiesen und Wälder, statt Supermarkt und Plastikwahnsinn gibt es die Grüne Kiste vom Bauern, statt Käfigfleisch brutzelt ein Wildschweinsteak vom Jäger in der Pfanne. Kinder spielen draußen, Mieten oder Wohneigentum sind bezahlbar. Das Leben auf dem Land ist langsamer und stressärmer, es erdet. Und so gibt es eine neue Lust aufs Land, die sich in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft einfacher als je zuvor umsetzen lässt.

So war das bei mir auch, als ich vor gut acht Jahren mit meinem Mann die Umzugskisten packte und von Berlin-Mitte nach Fürstenberg im Norden Brandenburgs zog. Wir konnten den größten Teil unserer Erwerbstätigkeit überall erledigen, wo es Internet, einen Computer und ein Mobilfunknetz ohne Funklöcher gab. Für etwaige Fahrten reichte ein Bahnanschluss nach Berlin. Kassierer und Oberärztin sind auch weiterhin räumlich an ihren Arbeitsplatz gebunden, aber für immer mehr Jobs ist das objektiv nicht mehr der Fall. Dass man vom Dorf wegziehen muss, weil es dort nicht genug Arbeitgeber gibt, ist jedenfalls keine allgemeingültige Wahrheit mehr.

Eine gute Internetanbindung ermöglicht aber nicht nur vielfältige virtuelle Beschäftigungsverhältnisse, sondern gleicht auch vorhandene Nachteile der lokalen Infrastruktur aus. Es braucht kein großes Einkaufszentrum mehr in der Nähe, wenn man jedes beliebige Produkt online kaufen kann. Mit Netflix und Co. kann eine schöne große Leinwand daheim das Kino ersetzen.

Die Enge der Stadt lässt sich prima tauschen gegen die Weite und Großzügigkeit auf dem Land. In der Provinz gibt es erschwingliche Möglichkeitsräume, in denen sich auch ohne Erbe von Oma verrückte Ideen realisieren lassen. Man kann niedrigschwellig experimentieren und schauen, wie weit man kommt. Und so sprießen in Brandenburg die Coworking Spaces wie Pilze aus dem Boden. Über 50 sollen es bereits sein, denn wer nicht mehr zur Arbeit pendelt, will vielleicht trotzdem nicht unbedingt zu Hause arbeiten. Selbst »Co-Dörfer« sind in Planung, z. B. in Wiesenburg im westlichen Brandenburg.

Dem alten Bahnhof in Fürstenberg haben wir mit einem Verein neues Leben eingehaucht. Was mit einer Computer- und Digitalwerkstatt in der früheren Wartehalle begann, umfasst heute einen Veranstaltungsraum für Lesungen, Konzerte, Debatten oder Workshops, einen großen Makerspace, in dem 3D-Drucker, Lasercutter und andere Gerätschaften vor allem Kindern und Jugendlichen einen Mitmach- und Bildungsraum bieten, ein Riesenwohnzimmer, eine offene Küche und ein Café. Im Keller entsteht ein Musikstudio und dank einer üppigen Glasfaserleitung vor Ort sind auch Smart-Village-Konzepte inklusive Rechenzentrum, WLAN-Netz für die Stadt und vernetzte Umweltsensoren längst mehr als eine verrückte Idee.

Die sogenannten urbanen Dörfer, in denen Stadtflüchtlinge mit Motivation und Inspiration innovative und lebendige Strukturen schaffen, haben immer öfter Gemeinsamkeiten mit dem wilden Prenzlauer Berg der Nachwendejahre. Sie sprengen die Schubladen provinziellen Lebens und verbinden das Beste aus beiden Welten. Aber ohne Infrastruktur wird daraus nichts. Deshalb braucht es auf dem Land den besten Nahverkehr, das beste Internet und das beste Mobilfunknetz. Es braucht Ärzte um die Ecke und eine digitale Verwaltung, die einem den Weg zum Amt erspart.

Anke Domscheit-Berg ist Netzaktivistin, war Mitglied bei Grünen und Piratenpartei und zog 2017 für die LINKE in den Bundestag ein. Dort ist sie u.a. Mitglied im Ausschuss »Digitale Agenda«. Sie gehört zu den Referenten der Digitalkonferenz der Linkspartei am 7. Dezember.

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