Revolutionsgarden unter Druck

Die innen- und außenpolitische Lage ist in Iran so schwierig wie selten zuvor seit der Islamischen Revolution

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Samstag erlebten die Menschen in Iran eine Überraschung: Auf den Bildschirmen erschien unangekündigt General Amir Ali Hadschisadeh, Kommandeur der Luft- und Weltraumeinheit der Revolutionsgarden. Was er in seiner voraufgezeichneten Ansprache sagte, hatte es in sich: Die iranische Luftabwehr habe aufgrund einer Fehlentscheidung eine Maschine der Ukraine International Airlines nach ihrem Start in Teheran abgeschossen und damit den Tod von 176 Menschen verursacht. Als er davon erfahren habe, habe er sich gewünscht, selbst tot zu sein, so Hadschisadeh.

Ob Unglücke, Luftverschmutzung, Korruption oder die Folgen von Naturkatastrophen: Es kommt ausgesprochen selten - so gut wie nie - vor, dass die iranischen Behörden, gar die Revolutionsgarden Fehlverhalten offen eingestehen. Doch nun ist die innen- und außenpolitische Lage in Iran so schwierig wie selten seit der Islamischen Revolution.

Seit Qassem Soleimani, Kommandeur der zu den Revolutionsgarden gehörenden Quds-Brigaden, bei einem US-amerikanischen Militärangriff in Irak getötet wurde, ist die Kriegsgefahr groß. Hinzu kommt: Zwischen Revolutionsgarden und der Regierung von Präsident Hassan Ruhani ist ein Machtkampf entbrannt. Am 21. Februar wird ein neues Parlament gewählt. Auffällig ist die Vielzahl von den Revolutionsgarden nahestehenden Kandidaten. Und über allem ist Ajatollah Ali Khamenei, Staatsoberhaupt und auf dem Papier alleiniger Entscheidungsträger über Krieg und Frieden, alt und krank, während sich die wirtschaftliche Lage des Landes zuspitzt, die Menschen seit Monaten schon auf die Straßen gehen, um gegen den Abbau von staatlichen Subventionen, insbesondere auf Benzin, zu demonstrieren.

Der Abschuss von Flug PS752 hat die Proteste nun neu angefacht und sogar weitere Teile der Bevölkerung ergriffen. Denn an Bord der Maschine befanden sich ausschließlich Passagiere, die entweder in Iran leben oder familiäre Verbindungen in den Iran haben. Die ukrainische Fluglinie bot bislang Verbindungen zu ausgesprochen günstigen Preisen und ist deshalb in Iran, wie auch in der arabischen Welt, bei jenen beliebt, die sich einen Flug ansonsten nicht leisten könnten.

Während der tagelang als Staatsbegräbnis inszenierten Beerdigungsfeierlichkeiten für Soleimani waren die Proteste weitgehend zum Erliegen gekommen. Nur aus den Regionen an der Grenze zur irakischen Provinz Basra sowie zu Pakistan und Afghanistan, wo überwiegend Araber leben, wurden noch Demonstrationen gemeldet. »Bizarre Szenen« seien das gewesen, sagt ein Universitätsprofessor, der nicht namentlich genannt werden will, am Telefon gegenüber »nd«. »Gerade hatten meine Studenten noch für eine Reform des Systems demonstriert, plötzlich trauerten sie um einen General der Revolutionsgarden.«

Jene Revolutionsgarden waren es auch, die in den vergangenen Monaten gegen Demonstranten vorgingen. Anders als bei vorangegangenen Protestwellen nahm man nicht nur Hunderte, wenn nicht gar Tausende fest, sondern schoss auch scharf. Amnesty International schätzte die Zahl der Opfer Ende vergangenen Jahres auf 1500; bestätigen lässt sich das nicht. Doch es ist eine Zahl, die auch in Iran im Umlauf ist und dort - nun zusammen mit den Ereignissen rund um Flug PS752 - eine explosive Mischung bildet. Denn ob Waffengewalt, im Inneren wie im Äußeren, eingesetzt wird, das entscheidet allein der Ajatollah. Bislang war man deshalb davon ausgegangen, dass Khamenei den Revolutionsgarden die Erlaubnis erteilt hatte, mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vorzugehen. Doch nun hat der Abschuss der Passagiermaschine einen anderen Verdacht genährt: Man wirft den Revolutionsgarden vor, eigenmächtig zu handeln und sich ohne Anweisung des Ajatollah das Recht eingeräumt zu haben, sich in Gefechtsbereitschaft gebracht zu haben.

Keinen Krieg mit Iran
Am Donnerstagabend versammelten sich in vielen Orten der USA erneut Tausende von Kriegsgegnern

Dem Ajatollah sei ganz offensichtlich die Macht entglitten, vermuten iranische Kontakte immer wieder. Während der nun neu aufgeflammten Demonstrationen in Teheran und anderen Städten wird nicht nur der Ruf nach Bestrafung der Verantwortlichen laut, sondern auch der nach einer Abdankung des Staatsoberhaupts. Ein Gedanke, den am Wochenende auch mehrere Parlamentarier - Reformer und sogar sogenannte Prinzipalisten, im Westen allgemein als »Hardliner« bezeichnet, äußerten. Das Problem: Obwohl die Suche nach einem Nachfolger schon seit mehreren Jahren läuft, ist noch kein geeigneter Kandidat in Sicht.

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