Kraftprotz trifft Multitalent

Robert Förstemann sprintet nicht mehr bei Olympia. Mit seinem sehbehinderten Partner Kai Kruse strebt er nun nach paralympischen Medaillen

  • Manfred Hönel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Fans toben jedes Mal, wenn Radsprinter Robert Förstemann im Berliner Velodrom seine riesigen Oberschenkel strafft und in die Pedale tritt. Der 33-Jährige wird auch beim 109. Berliner Sechstagerennen wieder um die Radpiste rasen. Diesmal aber nicht allein. Der zweifache Familienvater hat sein Herz für den Behindertensport entdeckt und musste nicht lange grübeln, als Kai Kruse auf ihn zukam: »Er fragte mich, ob ich mit ihm Tandem fahren will. Ich habe etwas überlegt, schließlich ist Tandemfahren nicht so einfach. Dann habe ich aber zugesagt. Ich freue mich, einen Menschen zu unterstützen, der es im Leben nicht so leicht hatte wie ich«, erklärt Förstemann.

Der 28 Jahre alte gelernte Physiotherapeut Kai Kruse stammt aus Rangsdorf bei Berlin und verfügt nur über eine zehnprozentige Sehfähigkeit. Doch er gilt als großes sportliches Multitalent. Bei den Paralympics 2012 in London ruderte er mit dem Vierer zu Silber. Vier Jahre später raste er in Rio de Janeiro mit Teamolympiasieger Stefan Nimke zu Bronze im Tandemsprint.

Der Schweriner Nimke, inzwischen 41, beendete mittlerweile seine Karriere. »Also kam Kai auf mich zu. Und ich wollte mit meiner Zusagen ein Zeichen für die Inklusion setzen«, sagt Förstemann. Der Wechsel fiel ihm nicht ganz leicht, denn er musste sich sowohl aus dem Olympiakader für 2020 zurückziehen und ab sofort auch auf alle Einsätze im Weltcup verzichten. »Ich hab ihm trotzdem zu dem Wechsel geraten«, sagt der ehemalige Tandemweltmeister und heutige Trainer Emanuel Raasch. Förstemann sei »schnell auf dem Tandem zurechtgekommen, obwohl er mit dem 1,92 m großen Kruse einen ziemlich gewaltigen ›Rucksack‹ auf dem Rücken hat«.

Das Zusammenspiel funktioniert mittlerweile gut. »Durch das Training auf dem Velodrom in Berlin oder in der Oderland-Halle von Frankfurt (Oder) spielen wir uns immer besser ein«, meint Förstemann. Auch Kruse hat sich längst auf seinen Mitfahrer eingelassen. »Bei unseren Sprints gebe ich mein ganzes Vertrauen an Robert ab, denn ich sehe ohnehin wenig und beim Sprint fast gar nichts. Die Bahn rauscht einfach unter mir weg«, erläutert er. Auch Raasch mag die Kombination: »Robert hat Kraft. Er bringt den langen Kruse gut durch die Kurven.« Allerdings könne auch der gewaltig zutreten. Bereits fünf zerbrochene Hinterräder (Wert jeweils 2000 Euro) bezeugen das.

Ob das neueste Rad hält, dürfte sich bereits an diesem Donnerstag zeigen. Das Duo hetzt dann mit den reinen Sprintern beim Rundenrekordfahren ums Oval. Die Bundespolizei stellte Förstemann dafür frei. »Dafür bin ich der Bundespolizei sehr dankbar. Aber auch Kai, denn ohne mich hätte er wahrscheinlich seine Laufbahn beenden müssen«, glaubt Förstemann. »Am Freitag wollen wir den Deutschen Rekord über 1000 Meter unter die Marke von 1:07 Minuten drücken. Am Sonnabend um 6 Uhr früh starten wir dann in Richtung Kanada, wo wir nächste Woche bei der Para-WM antreten«, umreißt Kruse den Zeitplan, der es dem Duo nicht erlaubt, an allen Tagen in Berlin zu fahren.

Beim Berliner Sechstagerennen treten 93 Profis und 250 Jugendliche in die Pedale. Rekordteilnehmer ist der längst für Österreich startende Andreas Müller aus dem Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Er dreht dieser Tage zum 100. Mal bei einem Sechstagerennen seine Runden und steigt zum 20. Mal in die Tretmühle an der Landsberger Allee. Nur der heute 79-jährige Wolfgang Schulze bestritt in Berlin noch sechs Rennen mehr.

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