»Heringe« in Finnland schwärmen aus

Protestbewegung nach italienischem Vorbild mobilisiert in Helsinki gegen Neonazis

  • Robert Stark
  • Lesedauer: 3 Min.

Helsinki. Es hätte kaum einen passenderen Zeitpunkt geben können, um gegen das vergiftete, politische Klima in Finnland auf die Straße zu gehen: Am 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hatten Neonazis im zentralfinnischen Tampere antisemitische Flyer verteilt und eine israelische Flagge verbrannt; in Turku wurde nachts eine der beiden Synagogen des Landes mit roten Farbbeuteln beworfen. Obwohl sich die »Silakkaliike« (Heringe) zwar schon um Weihnachten letzten Jahres gegründet hatten, fand ihre erste öffentliche Großdemonstration nun im Schatten dieser Ereignisse statt.

Der Aufruf zur Demonstration am 1. Februar 2020 in Helsinki: "Wir sehen uns in weniger als einem Tag auf dem Marktplatz!

Über 1000 Menschen mobilisierte die Bewegung am vergangenen Samstag in der finnischen Hauptstadt Helsinki. Mit Pappheringen und Regenschirmen ausgestattet, formierte sich der erste »Heringsschwarm« zwischen finnischem Parlament und der neuen Bibliothek Oodi. »Wenn das Wetter nicht so furchtbar gewesen wäre, hätten wir bestimmt doppelt so viele Menschen zusammenbekommen«, mutmaßt die Sprecherin der Bewegung, Katriina Valli.

Angelehnt an die italienische »Sardinen«-Bewegung bildet sich mit den »Heringen« in Europas Norden eine explizit überparteiliche, friedliche Bürgerbewegung, die sich klar antifaschistisch positioniert. Fast 30 000 Menschen sind Teil der öffentlichen Facebook-Gruppe der »Heringe«, in mehreren Städten gibt es Treffen in Bibliotheken. Dabei wird diskutiert oder in Workshops über Hassrede im Internet, Quellenkritik oder Faktenchecken referiert. Obwohl die nächsten öffentlichen Aktionen für Ende März in Planung seien, sieht Valli die Stärke der »Heringe« in den vielen lokalen Gruppen. So seien viele Teilnehmende der ersten Demonstration aus anderen Orten Finnlands angereist.

"Der Hering gegen Rassismus und Hassreden versammelte sich am Samstag um zwei Uhr auf dem regnerischen Helsinki People's Market um tausend Menschen." Vielen Dank tausend Mal! Wir sehen uns bald wieder. Sehr wahrscheinlich schon im März.

Die politische Streitkultur in Finnland hat sich seit Arbeitsbeginn der Mitte-Links-Regierung im Juni 2019 zusehends polarisiert: Seit Monaten führen die rechten »Wahren Finnen« die Umfragen an. Die Debatte um die mögliche Rückkehr der rund 40 finnischen Ehefrauen und Kindern von IS-Kämpfern, die im kurdischen Flüchtlingslager Al-Hol ausharren, hatte zu massiven rassistischen Ausfällen geführt. Valli unterstreicht allerdings, dass die Heringsbewegung sich nicht explizit gegen eine einzelne Partei richte, sondern gegen Rassismus und Hassrede, wo auch immer diese zu finden seien. »Wir hatten auch vereinzelt Kontakt mit Wahren Finnen, die zum eher alten, konservativen Flügel gehören - diese Leute sehen sich mit unseren Werten im Einklang - auch sie könnten demnach an unseren Aktionen teilnehmen.«, so Valli gegenüber »nd«.

Die »Sardinen« in Italien haben von November 2019 bis Ende Januar gegen Matteo Salvini und die Lega Nord demonstriert, die »Heringe« in Finnland wollen eine eindeutige, parteipolitische Positionierung vermeiden. Dennoch fühlen sich die »Wahren Finnen« angesprochen, sowohl ihr Vorsitzender, Jussi Halla-Aho, als auch die Europaabgeordnete Laura Huhtasaari attackierten die Bewegung öffentlich. Am Samstag standen den »Heringen« ein paar Dutzend rechtsradikale »Soldiers of Odin« gegenüber, sie grillten Fisch und riefen, dass »Heringe in den Ofen« gehörten.

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