»Wir haben keinen Bock auf dieses Insta-Insta-uffda-uffda«

Die Punkrockband Slime über die Klimakrise, Streamingdienste und die CDU

  • Lesedauer: 11 Min.

Euer neues Album, das soeben erschienen ist, »Wem gehört die Angst«, kommt mir einerseits introspektiv und recht nachdenklich vor. Andererseits gibt es auch noch Momente, die an das Sloganhafte eurer frühen Songs erinnern. Etwa, wenn es zum Thema Klimawandel sinngemäß heißt: Wir haben das in der Hand, und du willst es doch auch ändern. Wer ist denn heute noch für euch dieses »wir«?
(Alle drei): Alle zusammen. Alle, die Sauerstoff haben und auch was zu essen. Alle, die nachdenken.

Elf: Unser Drummer hat zwei jugendliche Kinder und ich hab eine Nichte, die ist 19 Jahre alt. Da fragt man sich dann schon: Was werden die noch erleben? Deswegen diese Geschichte, »Hamburg und Bremen unter Wasser« und so weiter. Da denkt man echt über das »wir« nach. Tatsächlich auch durch »Fridays for Future« und den Hype, der dadurch entstanden ist, der auch ein positiver Hype ist.

Christian: Mich interessiert die Frage nach dem »wir« auch, weil ich die Individualisierung, die Vereinzelung der Menschen sehr wichtig finde, die uns alle viel angreifbarer macht. Und da fragen wir als Linke, als Punks: Gibt es das »wir« überhaupt noch? So wir wir uns das früher vorgestellt haben, als Jugendbewegung? Dass es uns als Band überhaupt noch gibt, das ist vielleicht schon ein Teil der Antwort. Dass wir versuchen, so ein »wir« auch herzustellen, wie auch immer es dann aussieht. Dieses Zusammenstehen und der Versuch, gemeinsam etwas zu entwickeln und zunächst einmal anzunehmen, man ist nicht alleine, das spielt eine große Rolle.

Elf: Zumindest kann man es versuchen. Es hat immer zu dem dazugehört, was wir gemacht haben.

Nici: Wir wollen ja auch, dass die Leute sich selber diese Fragen stellen. Und ob das so schlau ist, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Es gibt ja schließlich auch genügend Nazis auf diesem Planeten, AfD, Turbokapitalismus. Ob es da nicht besser wäre, dagegen zusammenzustehen.

Gab es für eure neue Platte einen bestimmten Anlass? Oder war es einfach das Gefühl, es hat sich genug angesammelt?
Elf: Wir hatten noch Material auf der Festplatte, das wir eigentlich gut fanden. Und heute denke ich schon: Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten. Wer weiß, wie lange man das noch machen kann. Wenn wir jetzt wieder fünf Jahre warten, hat vielleicht schon der erste keinen Bock mehr. Also ging das jetzt einen Tick schneller.

Christian: So richtig steuern kann man so einen Prozess in einer Band eigentlich kaum. Wir hatten wirklich viel Material, und da haben wir dann einfach angefangen.

Elf: Früher war es ja eigentlich auch normal, dass man quasi jährlich eine Platte macht. Heute lassen sich Bands wie Social Distor- tion zehn Jahre Zeit. Bad Religion auch, glaube ich. Na, die gehen ewig auf Tour, das kostet alles Zeit. Da kommt man zu nix mehr.

Ich hatte überlegt, ob es für euch als sehr politische Band auch den Drang gab, etwas zu kommentieren, sich wieder einzumischen.
Christian: Wir sind eher nicht so im politischen Tagesgeschäft, wie es zum Beispiel eine Band wie Egotronic ist. Also so, dass bestimmte Ereignisse dann eins zu eins kommentiert werden, was dann sofort raus muss, bevor es verflogen ist. Bei uns sind es ja leider eher die größeren Stränge, die zum Teil schon seit 1945 da sind.

Nici: 1933!

Elf: 1918!

Nici: Wenn man ganz korrekt sein möchte, ja.

Christian: Keine Ahnung. Da muss man wahrscheinlich noch mal genauer nachgucken, das kann auch noch weiter zurückliegen.

Elf: Na ja, Erich Mühsam hat seine Sachen, die wir da zum Teil vertont haben, ja auch schon vor dem Ersten Weltkrieg angefangen. Wie aktuell die eigentlich sind, außer dass die Sprache ein bisschen altmodisch klingt! Diese uralten Texte, teils 100 Jahre alt und mehr, sind durchaus aktuell.

(Es folgt ein längerer Exkurs über den Anarchisten und Schriftsteller Erich Mühsam, dessen Texte die Band auf ihrem vorletzten, 2012 erschienenen Album »Sich fügen heißt lügen« vertont hat)
Nici: ... der hat gerne einen gesoffen, der hat sich gerne geprügelt und richtig gelebt.

Elf: Immer mittendrin, das stimmt.

Wie arbeitet ihr an eurem Material? Alle gemeinsam?

Nici: Einer von uns bietet eine Grundidee an, dann kriegt das jeder zu lesen oder zu hören, dann macht sich jeder seine Gedanken, und dann wird das ausdiskutiert, oder es wird auch mal die Richtung eines Songs komplett geändert. Und dann wird das halt noch mal neu geschrieben.

Elf: Wir sind ja alle ganz gute Musiker. Wir kommen aus verschiedenen Ecken und Richtungen, also allein musikalisch gesehen. Alex, unser Schlagzeuger, macht auch komische Jazzprojekte und was weiß ich. Der hat eine ganz andere Idee für ein Arrangement dessen, was die Trommeln da machen können, als ich. Ich mach so eine Grundbasis. Aber was dann da noch an kleinen Tricksereien passieren kann, passiert danach. Da war dann wirklich mal einiges im Proberaum entstanden, wo wir eine Woche waren, um die ganzen neuen, eigentlich schon halbwegs fertigen Songs noch mal durchzuarbeiten und einzuüben.

Ich finde es manchmal schade, dass ihr auf eure politischen Aussagen reduziert werdet und dabei fast untergeht, dass ihr eine sehr genau arbeitende Band mit einem sehr bewusst gewählten Sound seid.
Christian: Wir wussten halt, was wir nicht wollten: dass es so klingt wie beim letzten Album, das jemand gemischt hat, der für einen bestimmten Sound steht. Was eigentlich Slime immer so ein bisschen gefehlt hat, war der Groove. Das ist dieses Mal gut gelungen, aber das hat auch einfach damit zu tun, dass das Ganze eben auch relativ schnell ging. Wenn man einen guten Sound will ... Ich sage den Musikern einfach, dass sie richtig proben sollen und ihr Zeug können müssen, wenn sie ins Studio kommen. Wenn dann auch noch Talent dazukommt, dann hat man fast alles schon am Start. Und für mich war es wichtig, dass die Songs, die wir hier aufgenommen haben, dass das alles einfach richtig gutes Zeug war. Und das hat es meiner Meinung nach gebracht: Die Platte klingt fast wie live eingespielt.

Das ist ja auch alles gar nicht ungewöhnlich, aber bei einer linken Punkband will es doch eigentlich das Klischee, dass nie geprobt wird und dass alles nur schnell heruntergeschrammelt wird.
Nici: Hier ist ja das Ding: Sehen wir uns wirklich als Punkband? Also ich sehe uns mehr als so eine Art Rockband. Wir haben halt Bock auf Musik und nicht auf dieses Insta-insta-uffda-uffda.

Christian: Was schon eher ungewöhnlich ist, ist eben auch der Sound, der dabei herausgekommen ist. Weil ich auch darauf geachtet habe, dass es nicht so an die Wand gefahren ist. Und weil das Ganze auch einfach lebendig und nicht totkomprimiert ist.

Das wird ja auch viel beklagt, dass durch das Hören von Musik auf dem Handy und durch das Streaming alles so ein bisschen totgelimited ist.
Christian: Es gab doch vorher auch schon so eine Entwicklung, weil es einfach möglich war, durch die Digitaltechnik.

Elf: Das machen ja auch die Portale selber. Youtube und Spotify und so, da wird doch ein eigener Limiter eingesetzt.

Christian: Nee, nee, nee. Das ist andersrum.

Elf: Damit da nicht ein Song total rausknallt und megalaut kommt im Vergleich zu dem davor, wenn man eine Playlist abfährt.

Christian: Das stimmt, aber umgekehrt: Da wird nichts mehr laut gemacht, sondern das, was vorher schon so komprimiert und laut gemacht wurde, wird insgesamt einfach runtergeschoben. Das wird leise gemacht, und dadurch klingt es am Ende einfach viel schlechter. Weil es tot ist.

Aber hören denn die typischen Slime-Fans euch nicht über Streaming oder Online-Portale? An wen wendet sich denn eure neueste Produktion?
Elf: Inzwischen haben wir ein sehr differenziertes Publikum. Sehr viel mehr jüngeres Publikum. Kaum noch Leute, von denen du sagst, das sind Punks. So Iro-Typen. Nicht mehr wie früher, wo es wirklich nur Punk gab. Und Metal oder so war der letzte Scheiß. Reggae haben wir vielleicht noch gehört, weil die Engländer das auch gemacht haben. Wobei sich damals kein Mensch Gedanken darüber gemacht hat, was das für eine komische Religion ist, diese Rastanummer: homophob, frauenfeindlich wie sonst was, das war egal. Die Musik war irgendwie cool und das Kiffen und so weiter.

Nici: Vielleicht haben die Leute auch wieder Bock, Musik zu hören, die auch was aussagt. Dass es nicht nur ein blödes Liebeslied ist oder irgendjemand, der wieder darüber rumheult, dass seine Freundin ihn verlassen hat. Wenn du etwa an Bands wie Feine Sahne Fischfilet denkst, an Irie Révoltés - okay, die haben sich jetzt aufgelöst, aber vielleicht ist das wieder so eine Entwicklung dahin, dass die Leute auch wieder mehr Bock haben auf politische Musik.

Welche jüngeren Bands gefallen euch denn sonst noch?
Christian: Ich bin zum Beispiel im Moment gerade ein Riesenfan von Blond. Find ich echt super; also auch diese kleinen Kurzhörspiele, die sie machen, wenn sie ihre Konzerte ansagen, wenn du das mal auf Insta-gram gesehen hast. Das ist einfach geil, fast besser als die Platten, aber die haben auch gute Songs.

Elf: Am Freitag treffen wir uns mit Akne Kid Joe. Das macht der »Musikexpress«: Beide Bands setzen sich an einen Tisch und labern mal. Die junge Band erzählt und so. Keine Ahnung, was das dann wird. Ich kannte die vorher gar nicht, aber ich hab mir dann irgendwie ein paar Songs von denen auf Youtube angeguckt. Das ist doch irgendwie richtig cool. Was gibt’s sonst noch …? Ach, das neue Deichkind-Album ist auch großartig! Die sind zwar auch nicht mehr ganz so jung, aber cool. Ein ganz anderer Ansatz, aber durchaus auch einen politischen Hintergedanken immer dabei. Kein doofer Fun-Scheiß, was man denken könnte im ersten Moment, vielmehr stecken da intelligente Leute dahinter. Und irgendwie Kunst auch. Mehr Kunst als das, was wir machen.

Gibt es heute etwas an den Songs von früher, das euch peinlich ist? Was ihr nicht mehr so machen würdet?
Elf: Ja, man hat natürlich früher Texte rausgehauen, die man heute so nicht mehr schreiben würde. Man war mal jung: Mit 16 hat man andere Ideen im Kopf und vielleicht auch mehr Wut auf die Bullen, den Staat und sonstwas. Wenn man das heute liest, dann sind da vielleicht schon etwas alberne Texte dabei, die nicht wirklich cool geschrieben sind, sondern jung und wild. In Anbetracht der Entstehungszeit betrachtet aber völlig gerechtfertigt.

Könnt ihr das heute noch so vertreten?
Elf: Ja, ja, also so einen Song wie »Deutschland muss sterben« spielen wir immer noch absolut gerne.

Nici: »Legal, Illegal, scheißegal« auch immer wieder gerne.

Christian: Wir spielen auch »Polizei, SS, SA« immer noch, das ist ja auch ein sehr, äh, ja,... verengender Text. Aber so eine Zuspitzung oder so ein Slogan, das hat ja auch was. Das hat ja nicht umsonst auch eine politische Tradition. Ist ja nicht nur schlecht. Und sonst gibt’s da eigentlich nichts …

Nici: ... nichts zu bedauern.

Was sind für euch heute die wichtigsten Themen für Künstler?
Nici: Klima, Turbokapitalismus und rechter Populismus. Finde ich auch die wichtigsten Themen weltweit.

Christian: Gerade der Klimawandel: Das sind Dinge die uns ganz unmittelbar sehr bald sehr stark betreffen werden. Es kann mir doch keiner erzählen, dass ich, der jetzt Ende 50 ist, das nicht mehr erleben werde oder so. Das ist einfach totaler Blödsinn.

Elf: Wenn man jetzt noch 20 bis 30 Jahre schafft, dann wird man auch noch seinen Spaß damit haben. Wenn die Meeresspiegel dann wirklich ansteigen, wenn die Polkappen wirklich schmelzen. Und das hängt auch alles irgendwie zusammen. Und dann kommen diese Rechten, wie auch immer man sie bezeichnen will, ich sage »Faschisten«, die AfD und so, die dagegenhalten und immer wieder behaupten, das gibt es alles gar nicht.

Nici: »Die Sonne scheint nur ein bisschen stärker«, meint Beatrix von Storch.

Elf: Genau, das sind die absoluten Dummköpfe in meinen Augen. Oder sie sind einfach nur machtgeil. Oder wollen ihre Pöstchen da. Ich weiß nicht, was die wollen. Das ist mir ein Rätsel.

Nici: Vielleicht sind es auch einfach nur schlechte Menschen.

Christian: Die wollen Macht.

Elf: Das ist echt krass, dass man manchmal denkt: Eigentlich wäre es besser, wenn Frau Merkel noch weiter Kanzlerin bleibt, bevor diese Idioten an der Macht teilhaben. Das ist natürlich Quatsch, die CDU ist auch nicht viel besser. Aber manchmal denkt man so was tatsächlich: Dass selbst die CDU das geringere Übel ist.

Nici: So weit ist es schon gekommen.

Elf: Beängstigend.

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