Entwicklungsländern droht neue Schuldenkrise
Weltbank und IWF fordern Zinsmoratorium - etwa 80 Länder haben dort bereits Kreditanfragen gestellt
Die Industriestaaten sollen Zinszahlungen von besonders fragilen Entwicklungsländern stunden. Das verlangten die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa, und Weltbank-Chef David Malpass vor wenigen Tagen in einem gemeinsamen Appell. Die beiden Institutionen wollen damit besonders armen Entwicklungsländern »beim kurzfristigen Liquiditätsbedarf« wegen der Coronakrise helfen und »ein starkes Signal an die Finanzmärkte« senden.
Dieses Signal ist auch nötig, denn viele Entwicklungsländer sehen sich derzeit einem fiskalischen Sturm aus drei Elementen gegenüber: steigenden Gesundheitsausgaben, sinkenden Einnahmen durch die Wirtschaftskrise und einem erheblichen Kapitalabfluss. Knapp 80 Länder haben beim IWF bereits Kreditanfragen gestellt. Am härtesten trifft es die Gruppe der 47 besonders armen Entwicklungsländer, von denen mehr als zwei Drittel in Afrika liegen.
Die Coronakrise trifft einen bereits stark verschuldeten Globalen Süden. »Die Weltwirtschaft hat in den letzten 50 Jahren vier Wellen an Schuldenakkumulation erlebt. Die ersten drei endeten mit einer Finanzkrise in vielen Entwicklungsländern«, schrieb der IWF im vergangenen Dezember in einem Bericht. Die vierte Welle, die im Jahr 2010 begann, zeichne sich durch den »schnellsten, größten und breitesten Schuldenanstieg in diesen Ländern« aus. Dort seien die öffentlichen und privaten Schulden bis 2018 um 54 Prozentpunkte auf nun 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gestiegen.
Durch die Coronakrise dürften diese Zahlen schon wieder veraltet sein. Den Entwicklungsländern drohen die wichtigsten Einnahmequellen zu versiegen: der Verkauf von Rohstoffen, die Einnahmen aus dem Tourismus und die Rücküberweisungen von Emigranten. Seit Jahresbeginn ist etwa der Bloomberg-Rohstoffpreisindex um über ein Fünftel gefallen. Der Index deckt Öl und Gas, Industriemetalle und Agrarrohstoffe ab. Beim Tourismus droht gar ein Totalausfall für mehrere Monate. Erste Länder haben die Einreise von Ausländern mittlerweile verboten. Bei den Rücküberweisungen sieht es bisher zwar besser aus, aber dies könnte sich ändern, denn in einer Rezession verlieren Migranten oft als erste ihre Jobs.
Problematisch ist für Entwicklungsländer auch der Kapitalabfluss. Seit die Finanzmärkte in der zweiten Januarhälfte zum ersten Mal auf die Coronakrise aufmerksam wurden, haben Anleger Anleihen und Aktien von Entwicklungsländern im Wert von 41,7 Milliarden US-Dollar abgestoßen. Das ist doppelt so viel wie in einer ähnlichen Zeitspanne nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers, wie das Institute of International Finance ausgerechnet hat. Dies hat Folgen. Seit Ende Februar sind die von Kreditgebern verlangten Zinsen für die ärmsten Länder um 3,5 Prozentpunkte angestiegen. Diese müssen Anleger nun eine Rendite von zehn Prozent bieten, um noch an Geld zu kommen, wie Berechnungen der britischen Entwicklungsorganisation Jubilee Debt Campaign zeigen.
Mittlerweile reagieren die Finanzinstitutionen. Der IWF stellt 50 Milliarden Dollar zur Verfügung und die Weltbank 14 Milliarden. Doch das wird nicht reichen. Der Ökonom Ricardo Haussmann von der Universität Harvard warnt: Die erforderliche Finanzunterstützung »kann nicht mit existierenden Ansätzen und den Bilanzen internationaler Organisationen geleistet werden«. Vielmehr müsse das Geld, das aus Entwicklungsländern flieht, »in diese zurückgebracht werden«. Dazu schlägt Haussmann zwei Maßnahmen vor: Zum einen sollte die US-Notenbank Fed (und wohl auch die Europäische Zentralbank, EZB) mit Notenbanken von Entwicklungsländern Devisenswaps vereinbaren. Damit könnten diese Staaten ihre eigene Währung gegen Dollar oder Euro tauschen.
Zum anderen sollten die Fed und die EZB im Rahmen ihrer Anleihenkaufprogramme auch die Papiere von Entwicklungsländern kaufen. Dabei könnten sie sich auf die solventeren Staaten beschränken, während dann der IWF und die Weltbank sich auf die weniger solventen Staaten konzentrieren können. Besondere Beachtung verdienten zudem Länder ohne eigene Währung wie Kosovo und Montenegro, wo der Euro benutzt wird. Das Gleiche gelte für Ecuador, El Salvador, Panama und Osttimor, wo der US-Dollar als Währung dient. Mit diesen Staaten müssten die EZB und die Fed besondere Vereinbarungen treffen, damit deren Bankensystem abgesichert ist.
Noch hat die Coronakrise keine Schuldenkrise ausgelöst. Für beide dürfte aber das Gleiche gelten: Es lohnt sich, schnell und entschieden zu handeln.
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