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Flüchtlinge im Hungerstreik

Protest in Halberstadt gegen Lebensbedingungen

  • Sabine Netz
  • Lesedauer: 3 Min.

In Zeiten von Corona leiden besonders stark Schutzsuchende unter den Maßnahmen und Einschränkungen. Die Lebensbedingungen in der Landes-Aufnahmeeinrichtung (LAE) in Halberstadt in Sachsen-Anhalt sind vor diesem Hintergrund aus Sicht der Bewohner*innen untragbar geworden. »Die ganze letzte Woche gab es kein Klopapier, keine Seife und keine Schutzmasken«, beschrieb Helen Deffner vom Flüchtlingsrat gegenüber »nd« die aktuelle Lage. Seit Ende März steht die Einrichtung unter Quarantäne. Der Gebäudekomplex wurde eingezäunt, die einzelnen Häuser voneinander isoliert. Laut Denise Vopel, Sprecherin des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt, leben noch rund 800 Bewohner*innen in der LAE. 26 auf Corona positiv getestete Personen und ihre Angehörigen wurden mittlerweile in einer Unterkunft in Quedlinburg untergebracht.

Die Unzufriedenheit unter den Geflüchteten ist dennoch weiter groß. »Alle Mitarbeiter*innen hier tragen Masken, Handschuhe und Spezialkleidung. Wenn sie mit uns sprechen, haben sie allen Schutz, wir jedoch nicht«, sagte der Bewohner Marllow Kurdi, der eigentlich anders heißt, dem »nd«. In der LAE gebe es große Angst, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. »Es ist unmöglich, hier nichts zu berühren«, so Kurdi.

Am Samstagmittag verweigerten einige Bewohner*innen der LAE das Essen und verließen ihre Wohnräume. Etwa 50 Personen rissen laut der Polizei einen Zaun nieder, der sie von einem weiteren Gebäude der LAE trennt. Zwei Schutzsuchende erklärten, nur an dem Zaun gerüttelt zu haben, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie hätten mit der vermittelnden Sozialarbeiterin sprechen wollen, sagten sie in einem Video. Sicherheitspersonal hätte den Zaun letztlich eingerissen. Danach sei es zwischen dem Securitypersonal und den protestierenden Bewohner*innen zu Auseinandersetzungen gekommen.

Laut Vopel sei dabei eine schwangere Frau zufällig in Mitleidenschaft gezogen worden. Man habe sie vorsorglich ins Krankenhaus gebracht, Verletzungen wurden aber nicht festgestellt. Die Polizei bestätigte die Auseinandersetzungen. In einem weiteren Video in sozialen Netzwerken erklärte eine schwangere Frau, dass sie von einem Secruity-Mitarbeiter verletzt worden sei.

Marllow und die protestierenden Bewohner*innen fordern nun eine schnellstmögliche Umverteilung von älteren und schwangeren Bewohner*innen, Familien, Kranken und allen, die bisher nicht positiv auf das Virus getestet worden sind. Das »große Gefängnis in Halberstadt muss in den nächsten zwei Wochen geschlossen werden«, heißt es in einer Erklärung, die im Internet von Bewohner*innen veröffentlicht wurde. Zudem fordert man Hygiene- und Schutzartikel sowie eine ausreichende Essensversorgung. Zur Durchsetzung der Forderungen begannen einzelne Bewohner*innen am Wochenende einen Hungerstreik.

Am Montag fand zum zweiten Mal ein runder Tisch mit Bewohner*innen, Sozialarbeiter*innen, der Einrichtungsleitung und dem Landesnetzwerk Migrantenorganisationen statt. Die Ergebnisse waren bis zum Redaktionsschluss nicht bekannt. Laut Deffner kam es erneut zu Protesten.

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