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Liverpooler Einkaufswagenrempler

Die Dreistigkeit, mit der Fußballklubs Egoismus als Solidarität verkaufen, will Christoph Ruf nicht ungesühnt lassen

Nicht alle Bereiche des Lebens werden in Corona-Zeiten eingedampft. Dass Hefewürfel so umkämpft sind, deutet zum Beispiel daraufhin, dass viel gebacken wird in Deutschland. Der Suff scheint ebenfalls ein Corona-Gewinner zu sein, wenn man denn die Flaschenmeere vor den Altglascontainern richtig deutet.

Auch anthropologische Studien lassen sich im Zeichen des Virus ganz hervorragend durchführen. Ein Einkauf im Supermarkt um die Ecke reicht, um festzustellen, dass Krisensituationen bei vielen Menschen das Sozialverhalten stärken, während bei einer Minderheit jede Schamgrenze fällt. Die Mehrheit der Menschen verhält sich doch sehr nett, näht Masken fürs Kassenpersonal, bringt der Oma in der Nachbarschaft die Einkäufe vorbei. Es soll sogar Leute geben, die ihre Bücher beim Buchladen um die Ecke bestellen, weil sie gerne hätten, dass es ihn auch nach der Corona-Zeit noch gibt. Die Menschen, die einem den Einkaufswagen in die Seite rammen, weil sie zuerst beim Klopapier sein wollen, sind rar.

Für den Fußball fällt es hingegen schwer, eine ähnlich günstige Sozialprognose abzugeben. Nachdenkliche, verantwortungsbewusste Stimmen sind in der Minderheit. Und es dürfte kein Zufall sein, dass die am besten durchkapitalisierte Liga des Kontinents, die Premier League, am dreistesten agiert. Nicht nur, dass die stinkreichen Spieler sich lange Zeit weigerten, auf einen Teil ihres Geldes zu verzichten. Sie besaßen auch noch die Dreistigkeit, ihren Egoismus als Akt der Solidarität mit den Kranken zu verkaufen. So argumentierte die Spielergewerkschaft PFA, bei einer Gehaltsreduzierung gingen dem Staat auch Steuereinnahmen verloren. »Das würde auf Kosten unseres nationalen Gesundheitsdienstes NHS oder anderen staatlich-unterstützten Diensten gehen«, so die PFA. Dass der FC Liverpool, der gerade einen Gewinn von 50 Millionen Euro bekanntgegeben hatte, Staatshilfen für seine Mitarbeiter in Anspruch nehmen wollte und erst nach einem Sturm der Empörung zurückruderte, passt da gut ins Bild.

Aber man muss nicht ins Ausland blicken, um viele Beispiele für im Wortsinne a-soziales Verhalten zu entdecken. Schon in der Dritten Liga kennt die Dreistigkeit keine Grenzen. So versieht ein gewisser Stefan Effenberg beim KFC Uerdingen seinen Dienst als Sportdirektor, mithin bei jenem Verein, dessen Präsident und Gönner Mikhail Ponomarev in den vergangenen Jahren durch die Großkotzigkeit aufgefallen ist, mit der sich Neureiche seit jeher selbst entlarven. Geld spielte keine Rolle, nicht bei den Transfers, nicht bei den Gehältern. Keine Skrupel hatte der Verein hingegen, für seine Geschäftsstellenmitarbeiter Kurzarbeitergeld zu beantragen. Natürlich auch für Sportdirektor Effenberg, der bei den Bayern eigentlich genug verdient haben müsste, um auf Steuergeld verzichten zu können. Was im Übrigen auch für jeden Erstligisten gilt. »Wenn ich lese, dass Fußballvereine, die ein paar hundert Millionen Euro Umsatz machen, ihre Geschäftsstellenmitarbeiter in Kurzarbeit schicken, fühle ich mich wie in einem falschen Film«, sagt dazu Augsburgs Präsident Klaus Hofmann, der sich wundert, dass einige Vereine nur einen Monat durchfinanziert haben.

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Man kann sich allerdings auch über diejenigen wundern, die sich darüber wundern. Und man kann sich fragen, wo die Menschen ihren Optimismus hernehmen, die gerade die These vertreten, dass die Coronakrise die Chance zu einem Umdenken biete. Mehr Nachwuchs, weniger sinnlose Millionentransfers, ein radikaler Schnitt bei Spielergehältern und Beraterprovisionen - so logisch das alles wäre, es spricht wenig dafür, dass in der Nach-Corona-Zeit endlich die belohnt werden, die vernünftig wirtschaften. Denn natürlich werden die Gehälter in den Ligen eins und zwei erst einmal sinken, vielleicht sogar um bis zu 20 Prozent. Doch da sie in Spanien, Italien oder Frankreich wohl noch deutlich stärker gekappt werden, steht die Bundesliga im internationalen Vergleich eben künftig wohl sogar noch besser da als vor Corona. Dass künftig mehr Nachwuchsspieler zum Einsatz kommen als bisher, dürfte also ein frommer Wunsch bleiben.

Es sei denn, die Mehrheit der Menschen legt die Maßstäbe für den Wochenendeinkauf auch an den Fußball an. Denn dann würden für die Einkaufswagenrempler von Liverpool bis Uerdingen endlich die schlechten Zeiten anbrechen, die sie sich seit Jahren redlich verdient haben.

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