»Oberste Priorität hat heute die Gesundheit«

Argentiniens Regierung setzt Schuldendienstzahlungen aus

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.

»Nicht ich habe die Prioritäten geändert, sondern die Welt hat ihre Prioritäten geändert«, erklärte Argentiniens Präsident Alberto Fernández Anfang April. »Oberste Priorität hat heute die Gesundheit.« Die Wirtschaft oder die Neuverhandlung der Schulden seien an die zweite oder dritte Stelle gerutscht. »Den Verlust eines Prozentes des Bruttoinlandsprodukts (BIP) kann man wettmachen, den Verlust eines Menschenlebens nicht«, so der Präsident in Buenos Aires.

503 Millionen US-Dollar an Verbindlichkeiten muss Argentiniens Regierung am 22. April tilgen. Sollte sie dem nicht nachkommen, wird das Land spätestens einen Monat später von den internationalen Ratingagenturen als zahlungsunfähig eingestuft. Es wäre nicht die erste faktische Staatspleite, die Argentinien in seiner schuldenreichen Vergangenheit hinlegen würde.

Nach dem kürzlich von der staatlichen Statistikbehörde Indec vorgelegten Kassenbericht betrug Argentiniens Auslandsverschuldung Ende des vergangenen Jahres rund 280 Milliarden US-Dollar. Als der gemäßigte Linkspolitiker Alberto Fernández vergangenen Dezember das Präsidentenamt übernahm, stand Argentinien allein beim Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 44 Milliarden US-Dollar in der Kreide.

Nach Angaben des Indec hatte der neoliberale Vorgängerpräsidenten Mauricio Macri den Schuldenberg während seiner vierjährigen Amtszeit um rund 100 Milliarden US-Dollar erhöht. »Das Land kann diese Schuldenlast nicht tragen«, hatte Fernández’ Finanzminister Martín Guzmán bereits im Februar verkündet.

Unterstützung bekam Guzmán vom IWF: Argentiniens Schuldendienst sei »nicht tragbar«. Die Bereitstellung der dafür notwendigen Finanzmittel sei »weder wirtschaftlich noch politisch machbar« und nur der Verzicht der privaten Gläubiger auf »einen nennenswerten Beitrag« könne den Schuldendienst wieder flottmachen, stellte der Fonds öffentlich klar.

Am 6. April zog die Regierung erstmals die Reißleine und beschloss einseitig, den Schuldendienst für Dollar-Wertpapiere mit einer Gesamtsumme von rund zehn Milliarden US-Dollar auf das kommende Jahr zu verschieben. Die Maßnahme betrifft die unter nationalem Recht aufgelegten Anleihen. Nicht jedoch die nach internationalem Recht. Statt damit Panik auszulösen, sorgte die Entscheidung gar für Ruhe an der Börse in Buenos Aires. Das gebe Spielraum für die Neuordnung der Schuldentitel unter internationalem Recht, so der Tenor.

Als Beleg diente der zwischenzeitlich Kursanstieg argentinischer Staatsanleihen und Firmenaktien. Deren Kurse waren nach dem Ausbruch der Pandemie noch dramatischer abgesackt als anderswo. Argentiniens Länderrisiko, aufgestellt von der US-amerikanischen Bank J.P. Morgan für die Vergabe von Krediten, kletterte innerhalb eines Monats von 2000 auf 3800 Punkte.

Auch Argentiniens Regierung hat ein Milliarden-Hilfsprogramm aufgelegt. Dabei geht es um Investitionen in Infrastruktur, Steuererleichterungen, günstige Kredite für Unternehmen, aber auch um die Erhöhung des Kindergelds für arme Familien, die Anhebung der Mindestrente sowie einen einmaligen Sonderbonus in Höhe von 10 000 Peso (rund 145 Euro), den vor allem Niedriglohnempfänger und informell Beschäftigte erhalten.

Doch mangels finanzieller Spielräume kommen die dafür veranschlagten 700 Milliarden Peso (zehn Milliarden Euro) aus der Notenpresse. Im März druckte die Zentralbank die Rekordsumme von rund 575 Milliarden Pesos. Damit erweiterte sie innerhalb eines Monats die Geldmenge um 35 Prozent. Für April und Mai werden weitere Rekordsummen erwartet. Was sie jedoch nicht drucken kann, sind US-Dollars. Die 2020 noch zu tilgende Summe der nach internationalem Recht ausgegebenen Titel beläuft sich auf rund drei Milliarden Dollar. Darin enthalten sind die am 22. April fälligen 503 Millionen Dollar und die Ende Mai bei den im Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerstaaten fälligen zwei Milliarden Dollar.

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