Gericht erteilt der Bundeswehr eine Absage

Die Afghanistanpapiere stehen nun wieder offen für alle zur Verfügung

Es wirkt fast, wie ein Geschenk zum Tag der Pressefreiheit, der am dritten Mai stattfindet. Der Bundesgerichtshof hat mit einem Urteil zu den Afghanistanpapieren der Bundeswehr die Veröffentlichung wieder ermöglicht.

»Wunderbar, dass ein Minister nicht entscheiden kann, was in Deutschland veröffentlicht wird und das wir alle ein Recht auf Information aus erster Hand haben!«, sagte David Schraven dem »nd« als Reaktion auf das Urteil des Bundesgerichtshofs. Für ihn endet damit eine jahrelange Auseinandersetzung. Im November 2012 setzte das Verteidigungsministerium Schraven unter Druck. »Wir sollten die Papiere löschen. Der Minister wünsche das so«, twittert Schraven. »Ich habe nein gesagt. Wir löschen nichts und schon gar nicht freiwillig.« Nach einem langen Kampf durch die Instanzen sind die Afghanistanpapiere nach fast fünf Jahren nun wieder online.

Schraven war als Leiter der Rechercheabteilung der WAZ, die zur Funke Mediengruppe gehört, für die Veröffentlichung der Papiere verantwortlich. Bei der Sichtung von rund 5.000 Seiten »Unterrichtung des Parlaments«, die sonst nur den Abgeordneten im Verteidigungsausschuss zur Verfügung stehen, fiel dem Team auf, dass vom Afghanistaneinsatz als Friedenseinsatz schon lange keine Rede mehr sein konnte. Während man öffentlich lange das Image der Soldaten als Brunnenbohrer und Schulenbauer vermittelte, zeugten die Berichte an das Parlament von einem ganz anderen Bild. »Es war nicht ruhig am Hindukush – da wurde geschossen … es wurde gebombt.« Und all das schon lange vor den schweren Gefechten, bei denen seit 2010 zahlreiche Soldaten getötet wurden.

Fragwürdige Relevanz

Parlamentarier*innen aus dem Verteidigungsausschuss kritisieren die Unterrichtungen des Parlaments seit Jahren. »Diese sogenannten Unterrichtungen sind sehr dünn und in aller Regel nichtssagend«, sagt Christine Buchholz, die für die Linksfraktion seit 2009 im Verteidigungsausschuss sitzt. »Offenbar stuft das Verteidigungsministerium sie nur deshalb als «Verschlusssache» ein, damit die Öffentlichkeit nicht merkt, wie wenig Informationen es den Parlamentariern zur Verfügung stellt, auf deren Grundlage die Auslandseinsätze im Bundestag beschlossen werden.«

Der Verlauf des Rechtsstreits um die Afghanistanpapiere bestätigt die Einschätzung von Christine Buchholz. Das Verteidigungsministerium konnte die Veröffentlichung der Papiere, die aus den Jahren 2005 bis 2012 stammen, zunächst nicht unterbinden. Erst drei Jahre nach der Veröffentlichung erwirkte das Ministerium im August 2015 – nun unter Leitung von Ursula von der Leyen – eine gerichtliche Anordnung und drohte mit Zwangsvollstreckung.

Die Funke Mediengruppe musste die Papiere vom Netz nehmen. Die Begründung: Das Verteidigungsministerium sieht das Urheberrecht verletzt und will eine Gestaltungshöhe geltend machen, mit der geistiges Eigentum geschützt wird.

Es folgte der Weg durch die Instanzen, bis zuletzt der europäische Gerichtshof das Verfahren wieder an den Bundesgerichtshof zurückverwies. In dem Verfahren wurde auch behauptet, dass die Veröffentlichung aller 5.000 Dokumente keine journalistische Arbeit sei. Die WAZ hatte sich für ein Crowdsourcing entschieden. Nutzer*innen sollten die originalen Dokumente einsehen können, um die Vorwürfe nachzuvollziehen.

Der Bundesgerichtshof entschied nun, dass das Urheberrecht in der Auslegung der Bundeswehr keine Rolle spiele, weil das öffentliche Interesse an den Inhalten überwiegt. Dafür sieht das Urhebergesetz eine Ausnahme vor. Unmittelbar nach Verkündung des Urteils veröffentlichte die Initiative »Frag den Staat«, die sich für Informationsrechte einsetzt zusammen mit dem Recherchekollektiv Correctiv, das David Schraven mit gegründet hatte.

»Leider hat der Bundesgerichtshof die wichtige Frage explizit offen gelassen, ob staatliche Werke wie die Afghanistanpapiere überhaupt urheberrechtlich geschützt sind«, kritisiert die frühere EU-Parlamentarierin Julia Reda, die heute bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte an Fragen des Urheberrechts und der Informationsfreiheit arbeitet.

Ganz verschwunden waren die Papiere nie, denn sie standen seit der Veröffentlichung zum Herunterladen bereit und wurden in den letzten Jahren über mehrere Spiegelserver im Internet weiterverbreitet.

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