Umweltschützer im Visier

Berliner Verfassungsschutz sieht Ende-Gelände-Bündnis als »linksextrem« beeinflusst

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) stellte am Dienstag den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 vor - und der birgt Einiges an Konfliktpotenzial. Erstmals widmet sich dort ein eigenes Sonderkapitel dem Thema »Hate-Speech« und den Auswirkungen dieser Stimmungsmache, die vor allem auf Rechtsextremist*innen zurückzuführen ist. Diese werden von Geisel als besonders relevant erachtet.

Die Entwicklungen in den sogenannten extremistischen Szenen ist dabei von leichten Anstiegen des Personenpotenzials in allen Bereichen geprägt. Laut Verfassungsschutz gibt es zehn Rechtsextreme mehr als im vergangenen Jahr und einen Anstieg von 120 bei den Islamist*innen (siehe Kasten). In die Kategorie »Linksextremismus« werden vom Verfassungsschutz 260 Personen mehr eingeordnet, was auf den Mitgliederzuwachs bei der Roten Hilfe zurückgehe. Die Zahl der sogenannten Reichsbürger*innen bleibt unverändert.

Zahlen und Fakten zum Bericht

Die rechtsextremistische Szene in Berlin bleibt dem Bericht zufolge mit etwa 1420 Personen (2018: 1410) weitgehend gleich. Davon gelten 700 Personen als gewaltorientiert (2018: 700). Unverändert gegenüber dem Vorjahr blieb 2019 mit 670 die Zahl der sogenannten Reichsbürger.

Das salafistische Personenpotenzial ist laut Bericht 2019 von 1020 auf 1140 Personen angewachsen. Davon gelten 470 als gewaltbereit (2018: 460). Die Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus bleibe in Berlin unverändert hoch, hieß es.

Das Zahl der Linksextremisten ist 2019 um 260 auf 3400 Personen (2018: 3140) angewachsen. Das Potenzial gewaltbereiter Linksextremisten liegt demnach bei 980. epd/nd

Neben den üblichen Gruppen, die als »linksextrem« beeinflusst eingestuft werden, gibt es auch einen Neuzugang: Die Klimaktivist*innen von Ende Gelände, die zum Beispiel Kohlebagger im Lausitzer Revier besetzen, werden neuerdings auch als linksradikalen Einflüssen unterworfen angesehen. Im Bericht, der »nd« vorliegt, wird dies damit begründet, dass die tatsächlichen Ziele des Bündnisses weit über den Klimaschutz hinausgingen. Ende Gelände ist also »linksextrem«, da auch antikapitalistische Positionen vertreten werden.

Daran gibt es scharfe Kritik: »Reichsbürger nicht als rechtsextrem, aber Ende Gelände als linksextrem einzustufen, ist ein Armutszeugnis und nicht hinnehmbar«, stellt der Berliner Landesvorsitzende der Grünen, Werner Graf, noch vor der offiziellen Vorstellung des Berichts klar. Dass der Verfassungsschutz angesichts der gravierenden rechtsextremen Gewalt links und rechts gleichsetzt, stelle seine Existenz in Frage. »Wer für den Kohleausstieg kämpft, rettet unseren Planeten.« Und sei keine Bedrohung für die Verfassung.

»Das ist eine Diskreditierung«, sagt auch der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, zu »nd«. Der Verfassungsschutz trage damit zur Kriminalisierung der Klimaschutzbewegung bei. Die Begründung der Behörde sei dünn, der Vorwurf, Ende Gelände ginge es gar nicht ums Klima nicht haltbar, berichtet der Abgeordnete, der die Senatsfassung des Berichts vorab lesen durfte.

Innensenator Geisel verteidigt dagegen die Einschätzung: »Wir haben sorgfältig differenziert.« Man habe zwischen »linksextremen« Teilen der Gruppierung wie der Interventionistischen Linken, die angeblich den radikalen Teil des Protests steuert, und den Personen, die für eine bessere Welt kämpfen, unterschieden. Der Bericht schlage der Klimabewegung eine Trennung von den angeblich extremistischen Teilnehmer*innen vor.

»Das ist keine Überraschung«, sagt Schrader. Im Verfassungsschutz handele man oft im Geist, dass der Feind links steht - »Antikommunismus« nennt er das. »Das ist die Art, wie der Verfassungsschutz arbeitet.« Im Bericht werde beispielsweise auch nur ein »vermeintlicher« Rechtsruck benannt. »Als wäre das ein Hirngespinst!«

Dabei wird im 214 Seiten starken Bericht erstmals seit der Selbstenttarnung des NSU wieder das Wort »Rechtsterrorismus« benutzt. So werden Anschläge wie jener im neuseeländischen Christchurch, aber auch jener in Halle oder die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke genannt. »Der Rechtsterrorismus hat 2019 eine weltweite Blutspur hinter sich hergezogen«, sagt Innensenator Geisel. Er möchte mit aller Vehemenz Hetze und Diskriminierung widersprechen. Denn: »Diese Gewalt kommt nicht aus dem Nichts.« Sie wurzele beispielsweise schon in Bedrohungen im Internet.

Organisatorisch ordnet Geisel die meisten Rechtsextremist*innen immer noch der NPD zu. Doch auch die freien Kräfte seien relevant. Mittlerweile seien rund die Hälfte der Faschist*innen nicht mehr fest in der Szene organisiert. Dieser Entwicklung soll auch der Bericht gerecht werden. So konzentriert sich dieser eher auf die Aktivitäten der Rechten und nicht auf deren Organisierung. Wobei Geisel auch auf die neonazistische Anschlagsserie in Neukölln eingeht. »Wir setzen weiterhin alles daran diese Serie aufzuklären«, so sein Versprechen.

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