Wir brauchen eine neue »Erdpolitik«!

Klimawandel als ein Fall für die Medienkunst? - Unbedingt! Die Ausstellung »Critical Zones« im ZKM in Karlsruhe lotet die Potenziale aus

  • Björn Hayer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Erde ist krank und die Natur schlägt zurück: mit den brutalen Auswirkungen des Klimawandels, mit einer Pandemie ungeahnten Ausmaßes. Müssen wir unser Handeln und Wirtschaften neu überdenken?

Während sich große Teile der politischen Elite noch mit dem Kleinklein um das Rauf-und-runter von Emissionswerten beschäftigen, ist die Kulturszene schon seit Jahren weiter. Ökothriller erobern die Bestsellerlisten, das Klima-Theater prägt das Bühnengeschehen und die Lyrik hat längst umfassend das Großthema des Anthropozäns für sich entdeckt. Dass sich vieles auch in Wissenschaft und (Medien)kunst tut, belegt nun die neu eröffnete Ausstellung »Critical Zones« am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe.

Kuratiert von den Kunsttheoretikern und Philosophen Peter Weibel und Bruno Latour vermittelt das Projekt weniger besondere Exponate als vielmehr besondere Gedankenwelten. Am Wochenende gab es ein virtuelles Festival mit Vorträgen und Impulsreferaten zur Eröffnung der Ausstellung, die Videos, Karten und Werke präsentiert, an der Schnittstelle von Performance, Dokumentation und Forschung.

Klar ist, wie Weibel zu Beginn betonte: Man will Einfluss auf die Politik nehmen. Man will wachrütteln, die Prozesse der Degenerierung der Ökosphäre sichtbar machen und für ein neues Verständnis des Zusammenlebens von Mensch und Umwelt werben. Passend dazu befasst sich die Sektion »We live inside Gaia« mit der »Symbiogenese«: Wie Aufnahmen der Biologin Lynn Margulis verdeutlichen, lässt sich die Evolution nicht mehr primär als Resultat von Konkurrenzkämpfen begreifen. Statt der Durchsetzung des Stärksten scheint mithin das Prinzip der Kooperation ein Erfolgsgarant für die Erhaltung einer oder mehrerer Arten zu sein. Der Fokus der Schau richtet sich daher immer wieder auf systemische Verbündete wie Wälder, Ozeane und Korallenriffe.

Dass die Natur in all ihren diversen Ausprägungen an Pflanzen, menschlichen und nicht-menschlichen Tieren - bis hin zur Zelle - aus Akteuren besteht, ist eine wichtige Erkenntnis dieser Ausstellung, die damit unmittelbar an interdisziplinäre Forschungen aus den Bereichen des New Materialism, der Akteur-Netzwerk-Theorie und des Anthropozän-Diskurses anknüpft. Wir sind vernetzt und damit voneinander abhängig - das ist die folgenreiche Aussage. Denn wo sich Abhängigkeiten zeigen, besteht auch die Notwendigkeit der gegenseitigen Achtung, zumindest theoretisch. Bleibt diese aber praktisch aus, werden Handelnde zu Invasoren.

Ausgehend von der Erkrankung mehrerer Wissenschaftler, die in einem Urwaldgebiet Feldforschung betrieben haben, entwarf Cemelesai Dakivali surreale Zeichnungen von fiktiven Viren (»My Memory«) mit tentakelartigen Ausstülpungen. Umgekehrt zum Eroberungsdrang des Menschen, befallen sie - höchst aktuell in Corona-Zeiten - den in einer bestimmten Landschaft als Störfaktor sich bemerkbar machenden Menschen.

Noch einen Schritt weiter geht der 1929 entstandene Experimentalfilm »Tusalava« von Len Lyn: Wie durch ein Mikroskop beobachten wir, wie aus einer Art Zelle ein neuer Mikroorganismus entspringt und wächst. Dieser dockt bald erneut an erstere an. Profitieren beide Seiten anfangs noch von der Symbiose, kippt das Arrangement in der weiteren Entwicklung. Die Konsequenz: der vermeintlich stärkere und hegemoniale Part löst sich zuletzt selbst auf. Mag man darin eine dystopische Prophezeiung über das Ende der humanen, sich ungehindert ausbreitenden Spezies sehen?

Es gibt ein Rezept, um dieses Szenario zu verhindern: »Terrestrisch werden«! Verstanden wird unter diesem Leitmotto die Orientierung an der Erde. Nicht die Loslösung vom Körper oder vom Boden, nicht das durch Technologien entwickelte Fliegen und damit verbundene Überwinden der Zwänge von Biologie und Physik ist das Ziel, sondern die Besinnung auf das Horizontale.

Entsprechend der Idee der Ko-Evolution gilt der Schutz des Klimas und der natürlichen Ressourcen als Aufgabe des Kollektivs. In den Vorträgen vernahm man daher immer wieder die Forderung des gemeinschaftlich organisierten Protests - gegen Kolonialismus und Ausbeutung und für eine neue »Erdpolitik«. Diese bedarf aktivistischer Kräfte, aber ebenso des richtigen Rüstzeugs. Hierbei kommt nun die Medientechnologie ins Spiel. Neben Werken über die Effekte von Machtstreben und Besetzung, von Vertreibung anderer Arten und der Verminderung der Biodiversität, versammelt das ZKM auch Dokumente über Beobachtungsstationen, die die im Kleinen beginnenden Veränderungen in der Natur festhalten. So kann man etwa auf der Karte der »Critical Zone Observatory« selbst zu Überwachungsstationen eines Gewässers in den Vogesen navigieren und dadurch Zugang zu den Erkenntnissen von Wissenschaftlern an unterschiedlichen Standpunkten erhalten.

Der Fortschritt ist, was den Klima- und Landschaftswandel anbetrifft, sowohl Fluch als auch Segen. Erst der empirische Drang hat die planetarische Krise erzeugt, nunmehr scheint gerade die technologische Innovation dazu geeignet, um die von ihr verursachten Folgen wieder auszugleichen, ja, die Erde mit ihr gewissermaßen zu reparieren und zu erneuern.

Nicht zuletzt die weltweite Vernetzung dient dazu, sich zusammenzuschließen und länderübergreifend auf Missstände aufmerksam zu machen. Technikpessimismus und -optimismus, Risiko und Chance liegen also eng beieinander. Genau diesen Spagat bringt die Ausstellung »Critical Zones« zum Ausdruck. Nachdem man normalerweise Vergangenes im Museum bestaunen darf, hält das ZKM indessen ein anderes Versprechen bereit: In Karlsruhe ist bereits die mögliche Zukunft, vielleicht sogar von einer besseren Ordnung, zu sehen.

»Critical Zones«, ZKM, Karlsruhe, bis zum 28.2.2021

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