Lieber eine Rolle zurück

Landeseigene Wohnungsunternehmen hadern mit sozialen Zielen für Mieter

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich ist die Vorstellung des Berichts 2019 zur Kooperationsvereinbarung zwischen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften am Mittwochmorgen ein Wohlfühltermin. Denn Jan Kuhnert, Vorstand der zuständigen Wohnraumversorgung Berlin, bescheinigt den Unternehmen bis auf ein paar kleine Punkte, die Ziele der Vereinbarung erfüllt zu haben.

Neubau und Ankäufe zusammengerechnet - große Brocken waren das Kosmosviertel in Altglienicke, Gebäude an der Karl-Marx-Allee in Friedrichshain und ein Paket von 6000 Einheiten in Reinickendorf und Spandau - wuchs der kommunale Bestand um rund 16 700 Wohnungen. Drei Viertel aller 4500 im Jahr 2019 fertiggestellten landeseigenen Wohnungen sind in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick entstanden. Das hat Folgen. »Wir haben ja fast schon Wiener Verhältnisse in Lichtenberg«, schwärmt Wohnungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Knapp 40 Prozent aller Wohnungen gehören dort inzwischen dem Land.

Berlinweit haben die landeseigenen Unternehmen mit ihren über 320 000 Wohnungen einen Anteil von knapp einem Fünftel am Gesamtbestand. Schlusslicht im Bezirksvergleich ist Steglitz-Zehlendorf, wo nicht einmal jeder 20. Mieter kommunal wohnt; auch der Anteil in Charlottenburg-Wilmersdorf liegt abgeschlagen bei weniger als einem Zehntel. Da mache sich immer noch der Verkauf der einst landeseigenen GSW bemerkbar, bedauert Lompscher.

Kuhnert zeigt sich auch zufrieden mit den nur um 0,69 Prozent gestiegenen Bestandsmieten und den bei 7,43 Euro pro Quadratmeter verharrenden Neuvermietungsmieten. Auch die Zielzahl von 60 Prozent Neuvermietungen an Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen (WBS) wurde eingehalten.

Bei diesem Thema hakt Jörg Franzen, Vorstandschef der Gesobau, ein. Es liege auch an den Beständen der Landeseigenen, das laut dem jüngst vorgestellten Sozialstrukturatlas die Indikatoren in einigen Siedlungsgebieten am Stadtrand nach unten gingen, erklärt er. Und warnt vor »französischen Verhältnissen«: »Das kann sich niemand wünschen.« Hintergrund sind die laufenden Vorbereitungen für den Abschluss einer neuen Kooperationsvereinbarung. Lompschers Verwaltung prüft derzeit, ob künftig zwei Drittel aller freiwerdenden städtischen Wohnungen an WBS-Inhaber vergeben werden sollen, wie aus »nd« vorliegenden Unterlagen hervorgeht. Gefordert hatte das unter anderem die Initiative Mietenvolksentscheid. Die Landeseigenen wollen hingegen innerstädtisch an der 60-Prozent-Quote festhalten und außerhalb des S-Bahnrings sogar auf 40 Prozent runtergehen. »Wir sind tatsächlich nicht an dem Punkt, dass das ausverhandelt wäre«, wehrt Lompscher Nachfragen ab.

Ein weiteres Anliegen sind die Neubaumieten. Seit 2017 dürfen sie durchschnittlich maximal zehn Euro pro Quadratmeter betragen. »Die Neubaukosten sind nachweisbar gestiegen«, sagt Franzen. »Da wollen wir gar nicht viel«, erklärt er. Eine jährliche Anpassung an den Baupreisindex würde schon reichen. So wenig wäre das allerdings auch nicht. Allein von 2017 bis 2019 sind Baupreise laut dem Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg um zwölf Prozent gestiegen. An diesem Punkt wird die Senatorin etwas konkreter. »Ich bin aufgeschlossen, was die Indexierung angeht. Ich kann dem Kollegen Franzen da Hoffnung machen«, erklärt Lompscher - allerdings nicht, ohne die preisdämpfende Wirkung der Begrenzung auf zehn Euro zu betonen.

Der Neubau ist von der Coronakrise bisher kaum betroffen, berichtet Jörg Franzen weiter. »Bei uns sind nur zwei Projekte im Wedding um vier bis fünf Monate zurückgeworfen worden aufgrund von Material aus Italien, das nicht gekommen ist«, berichtet er für die Gesobau. »Je weiter die Projekte gediehen sind, um so geringer sind die Einflüsse«, sagt Lompscher. Planmäßig sollte dieses Jahr mit dem Bau von fast 10 000 neuen Wohnungen begonnen werden. Ob das gelingen wird, muss sich noch zeigen.

Der Jahresbericht 2019 wirft allerdings auch Fragen zu den Praktiken der Wohnungsunternehmen auf. Zum Beispiel zu den 3841 erfolgten fristlosen Kündigungen. Nach der Wahrnehmung von Beratungsangeboten durch 3372 Mieter wurde immerhin knapp die Hälfte dieser Kündigungen wieder zurückgenommen. Erstaunlich ist, dass sich diese Quote sehr ungleich auf die verschiedenen Unternehmen verteilt.

Immerhin lag die Anzahl der Zwangsräumungen von bewohnten Wohnungen lag 2019 mit 199 Fällen deutlich unter dem Wert für 2018, als insgesamt 311 Mal geräumt wurde.

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