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Zu müde für den Aufstieg

Drittligist Ingolstadt ist beim 1. FC Nürnberg in der Relegation chancenlos. Das liegt auch am bisherigen Spielplan

Nach der einigermaßen ernüchternden Ingolstädter Niederlage im ersten Relegationsspiel gab sich Trainer Tomas Oral realistisch. »Wir müssen uns schütteln. Damit wir noch mal zurückschlagen können - wenn das möglich ist.«

Daran, dass der Drittligist am kommenden Samstag doch noch den Aufstieg schafft, darf nach den Eindrücken vom Hinspiel allerdings gezweifelt werden. Wie ein Habicht durch den Taubenschlag fuhr Nürnberg am Dienstag durch Ingolstadts Defensive. Die Gäste, die gedanklich und physisch müde wirkten, konnten am Ende froh sein, nicht völlig unter die Räder gekommen zu sein. Ohne den verletzten Stefan Kutschke und Maximilian Beister, der früh ausgewechselt werden musste, ging in der Offensive gar nichts. Ein 0:5 hätte den Spielverlauf eher widergespiegelt als das 0:2.

Der FCI pendelt seit seiner Gründung 2004 meist zwischen dritter und zweiter Liga, von 2015 bis 2017 spielte man gar in der 1. Bundesliga, wo in der ersten Saison unter dem jetzigen Southampton-Trainer Ralph Hasenhüttl Platz elf heraussprang. Das Image, ein blutleeres Kunstprodukt zu sein, hat der Verein nie ablegen können. Die Fanbasis ist nach wie vor überschaubar, wobei die geografische Nische zu Nürnberg, Fürth, dem FC Augsburg, 1860 München und dem FC Bayern auch keine großen Sprünge zulässt.

Fußballhistorisch gesehen lässt sich der Verein trotz der Unterstützung durch »Audi« allerdings nur bedingt mit den bei traditionellen Fans übel beleumundeten Newcomern RB Leipzig oder TSG Hoffenheim vergleichen. Denn die Ursprungsvereine ESV und MTV Ingolstadt gab es schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts, Ende der Siebziger spielten die proletarischen Eisenbahner und der bürgerlichere MTV sogar beide gleichzeitig in der 2. Liga.

Vier ganze Tage bleiben den Schanzern nun zur Regeneration, ehe sie im eigenen Stadion erneut auf Nürnberg treffen. Ob die Zeit reicht, um ein Team wieder in die Spur zu bringen, das im Gegensatz zum Zweitligisten FCN seit dem Re-Start nur englische Wochen absolviert hat und völlig überspielt wirkte, ist fraglich. Es ehrt Oral, dass er nicht die objektiv unfaire Ausgangslage ins Feld führte: »Wir beklagen nicht die fehlende Frische, das haben wir noch nie gemacht.« Doch natürlich hatte auch der Trainer gesehen, dass sein Team einem Gegner nicht das Wasser hatte reichen können, der nun zudem offenbar einen eigenen Coach hat, dessen Maßnahmen greifen. Ex-Profi Michael Wiesinger, der den Club 2013 schon mal in der Bundesliga trainierte, vorher zwei Jahre in Ingolstadt gearbeitet hatte und heuer das Nachwuchsleistungszentrum der Franken leitet, hat in der zurückliegenden Woche vieles bewirkt. Die taktischen Vorgaben wie das schier explosionsartige Anlaufen der Ingolstädter in der Anfangsphase griffen genauso wie die personellen Maßnahmen. So zog er Fabian Nürnberger, der wirklich so heißt und beide Tore erzielte (22./45.), aus dem Mittelfeld nach links vorne: »Er ist für mich ein klassischer Außenspieler, wahrscheinlich, weil ich selbst so einer war.«

Tatsächlich war Wiesinger als Spieler durchaus torgefährlich: 25 Treffer in 186 Spielen gelangen ihm für Nürnbrg. Weit weniger offensiv ist hingegen sein Charakter, ein Umstand, den Oral vor dem Spiel als Motivationsversuch in eigener Sache hatte nutzen wollen. »Vieles von dem, was die Nürnberger von sich gegeben haben, entspricht nicht Ihrem Naturell«, so Oral. Die Motivationsversuche von Wiesingers Trainerteam wirkten aufgesetzt, musste man das wohl interpretieren. »Unser Trainer ist authentisch, Herr Oral«, rief ihm Nürnbergs Aufsichtsratschef Thomas Grethlein deshalb bei einer Spielunterbrechung von der Tribüne aus zu. Oral tat, als habe er es nicht gehört.

Oral und sein Kollege haben sich mittlerweile ausgesprochen. Und doch hatten Orals Worte Wiesinger offensichtlich getroffen. Wie zur Rechtfertigung sagte er, man müsse »manchmal im Leben versuchen, selber emotional zu sein, vorwegzumarschieren. Und das habe ich versucht.« Mit seiner sparsamen Mimik und seiner leisen Stimme ist Wiesinger tatsächlich das genaue Gegenteil von Oral, der den FCI nun schon zum dritten Mal trainiert. Und das durchaus erfolgreich. 2011 übernahm er einen abgeschlagenen Tabellenletzten in der 2. Bundesliga und rettete ihn im letzten Saisonspiel. 2019 holte er fünf Siege in sieben Spielen, konnte den Abstieg im Relegationsspiel gegen Wehen-Wiesbaden aber nicht verhindern. Nun hat Oral, der die Oberbayern bei seinem dritten Engagement seit März von Platz fünf auf Relegationsrang vier führte, die Chance zu zeigen, dass er nicht nur kurzfristig motivieren kann; sein Vertrag läuft diesmal bis 2021.

Bisher konnte er jedoch nie so ganz den Verdacht zerstreuen, dass er in Sachen Mannschaftsführung insgeheim Felix Magath nacheifert, unter dem er 2014 ein paar Monate als Co-Trainer beim FC Fulham gearbeitet hat. Wutanfälle und unglückliche Aussagen wie die über Wiesinger werden ihm bei allen bisherigen Stationen nachgesagt. Aber auch, dass er ein fachlich sehr gutes Training verantworte.

Ob das reicht, um am Samstag die große Überraschung zu schaffen? Am Dienstag wirkte es eher so, als brauche die Mannschaft statt intensiven Trainings vor allem viel Zeit sich auszuruhen.

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