»Ein Einschlag in Superzeitlupe«

Der Meteorologe Sven Plöger über Klimawandel, Coronakrise und Greta Thunberg

  • Philipp Hedemann
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Plöger, Deutschland hat wieder einen extrem trockenen Frühling erlebt, im letzten Jahr brannten in Australien und Brasilien die Wälder. Dann kam Corona. Interessiert sich heute noch irgendjemand für den Klimawandel?
Oh ja, die Leute interessieren sich mehr denn je! Das sehe ich unter anderem an den vielen E-Mails, die mich dazu erreichen. Es liegt daran, dass der Klimawandel bei uns mittlerweile konkret spürbar geworden ist. Natürlich wurde zuletzt jedes Thema von Corona überlagert, denn die Pandemie betrifft jeden. Aber der Klimawandel auch! Zum Glück sind die allermeisten Menschen in der Lage zu verstehen, dass es zeitgleich mehrere Krisen gibt, die unser Handeln erfordern. Wir dürfen nicht den Fehler machen, uns nur vor einer fünf Meter hohen Tsunami-Welle - der Coronakrise - in Sicherheit zu bringen, und dabei die 500 Meter hohe Welle - den Klimawandel - übersehen, die sich bereits am Horizont auftürmt.

Sowohl der Klimawandel als auch das Coronavirus könnten Millionen Menschen töten. Trotzdem reagieren Gesellschaft und Politik ganz unterschiedlich. Warum?
Es liegt wohl daran, dass wir die Bedrohung durch Corona als sehr konkret wahrnehmen: Meine Familie, meine Freunde oder ich selbst könnten erkranken oder sogar sterben. Die Gefahr durch den Klimawandel ist auch real, aber oft nehmen wir diese nicht als so konkret wahr. Noch haben wir eher das Gefühl, dass vielleicht irgendwann irgendwem irgendwo irgendetwas passieren wird.

Sven Plöger

Sven Plöger, bekanntester Meteorologe Deutschlands und ARD-Wettermoderator, hat sich auch als Klimaexperte einen Namen gemacht. Gerade ist sein Buch »Zieht Euch warm an, es wird heiß!« (Westend, 230 S., 19,95 €) erschienen. Über den Umgang von Politik und Gesellschaft mit der drohenden Klimakatastrophe sprach mit ihm Philipp Hedemann. Foto: dpa/Henning Kaiser

Ist das der einzige Unterschied?
Nein, es liegt auch an der Zeitspanne. Die Coronakrise ist wie ein Asteroiden-Einschlag in Zeitlupe. Wir haben ein paar Wochen, um uns vorzubereiten, um das Schlimmste zu verhindern. Das ist eine Zeitspanne, die unserem Planen und unserem Handeln sehr entgegenkommt. Der Klimawandel hingegen ist wie ein Asteroiden-Einschlag in Superzeitlupe. Die Auswirkungen unseres Handelns oder Unterlassens werden erst in einigen Jahrzehnten vollständig spür- und sichtbar. Leider neigt der Mensch dazu, Dinge zu verdrängen und aufzuschieben. Dabei wäre es so wichtig, jetzt zu handeln. Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels erst jeden Tag spüren, wird es zu spät sein.

In der Coronakrise hat die Politik schnell weitreichende Maßnahmen ergriffen, die die persönliche Freiheit stark eingeschränkt haben. Die meisten Menschen fanden diese Maßnahmen richtig und haben sie mitgetragen. Ginge das nicht auch beim Klimawandel?
Dafür sind die Auswirkungen des Klimawandels einfach noch nicht dramatisch genug zu spüren. Wenn wir in einer apokalyptischen und dystopischen Zeit leben würden, in der wir jedes Jahr eine verheerende Dürre hätten, wäre die Bereitschaft, mit drastischen Maßnahmen zu reagieren, sicher größer. Aber genau das gilt es zu verhindern.

Politiker, die in der Coronakrise versagen, werden möglicherweise nicht wiedergewählt, weil die Folgen ihres Tuns sich schnell an Todesraten ablesen lassen. Die Folgen der Klimapolitik zeigen sich erst später ...
Das ist ein Problem. Besonders gut lässt sich das in den USA betrachten. Trump hat zunächst so getan, als beträfe das Coronavirus die USA nicht. Die fatalen Folgen sind bekannt. Beim Klimawandel macht er genau dasselbe, und auch das wird fatale Folgen haben! In seiner Welt dreht sich offenkundig alles - so wie es bei vielen Populisten der Fall ist - nur um ihn selbst. Das Wohl seiner eigenen Kinder, Enkel und nachfolgender Generationen ist da erkennbar weniger bedeutend. Trump ist heute 74 Jahre alt, und wenn die USA bald mit voller Wucht getroffen werden, ist er uralt oder lebt vielleicht nicht mehr. So entzieht er sich seiner Verantwortung.

In der Coronakrise hat die Politik auf die Wissenschaft gehört. Virologen wie Professor Drosten sind so zu verehrten und zugleich verhassten Stars aufgestiegen. Könnten Klimaforscher die neuen Virologen werden?
Klimaforscher teilen das Schicksal von Professor Drosten. Wenn sie der Gesellschaft und der Politik aufgrund wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse empfehlen, dass wir unser Verhalten ändern müssen, um eine Katastrophe zu verhindern, werden auch sie von bestimmten Gruppen diskreditiert, beschimpft, beleidigt oder sogar bedroht.

Auch Greta Thunberg, die Gründerin der Fridays-for-Future-Bewegung, hat schon so manchen Shitstorm im Internet aushalten müssen. Vor allem seit sie in Hinblick auf die Erderwärmung sagte: »I want you to panic.« Ist Panik in Sachen Klimawandel ein guter Ratgeber?
Prinzipiell glaube ich, dass Panik kein guter Ratgeber ist. Nichtsdestotrotz: Ich bin ein großer Greta-Fan. Vor 13 Jahren kam mein erstes Buch über den Klimawandel raus. Darin habe ich geschrieben, dass die Klimaschutzbewegung eine Ikone braucht. Greta ist diese Ikone. Natürlich geht es Greta nicht vorrangig darum, dass die Welt in Panik verfällt. Sie will lediglich, dass Gesellschaft und Politik sich des Ernsts der Lage bewusst werden, auf die Wissenschaft hören und jetzt die Maßnahmen ergreifen, die gebraucht werden, um das Klima zu schützen.

Brauchen wir mehr Regeln, Vorschriften und Verbote, um den Klimawandel zu verlangsamen?
Ja! Ohne das wird es nicht funktionieren. Die Erfahrung zeigt: Freiwillig werden die meisten Menschen ihr Verhalten nicht ändern. Die Gier, die zur Ausbeutung der Natur und somit zum Klimawandel führt, wird nicht einfach so überwunden werden.

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