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»Hey, super – Popcorn!«

Anne Harder betreibt ein Programmkino in München. Seit Kurzem hat es wieder geöffnet, in den kleinen Saal dürfen aber gerade mal 13 Personen. Wirtschaftlich ist das nicht

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Sie haben seit vergangener Woche wieder geöffnet. Wie war der Start?
Es ist ein bisschen skurril, weil wir Betreiber*innen gerade in Niederbayern waren. Wir hatten schon vor einem halben Jahr ein Wochenende ausgemacht, an dem wir uns in Ruhe zusammensetzen wollten, um die Zukunft zu planen. Die Zahlen waren dann am Wochenende – den Umständen entsprechend – super. Wir hatten drei Vorstellungen, und alle waren ausverkauft. Das heißt: 29 Zuschauer im großen Saal, da passen normalerweise 81 rein – und 13 im kleinen Saal, da passen normalerweise 33 rein.

Was ist außerdem anders als sonst?
Es gibt jetzt feste Sitzplätze, und es dürfen kaum noch Leute ins Foyer, was ich schade finde – denn Kino lebt auch davon, dass es voll ist. Wir hatten sonst täglich sechs Vorstellungen, nun erst einmal zwei bis drei. Dazwischen müssen wir eine längere Pause machen, damit sich die Leute möglichst nicht begegnen. Das war irre viel Organisationsaufwand – das denkt man gar nicht.

Gab es einen Punkt, an dem Sie dachten: Das ist das Ende?
Ja. Als der Shutdown kam, dachte ich: Wir überleben das nicht. Es war so apokalyptisch gespenstisch. Keiner wusste, wie es weitergeht. Wir sind vier Leute in der GmbH, aber ich bin die Einzige, die im Kino arbeitet. Wir haben noch drei feste Mitarbeiterinnen. Unsere Mini-Jobber*innen mussten wir im April entlassen, was wirklich scheiße war, aber es ging nicht anders. Wir hoffen, dass wir sie bald wieder einstellen können. Inzwischen haben wir Soforthilfen und Fördergelder bekommen, eine Crowdfunding-Spendenaktion gestartet, Sesselpatenschaften und Gutscheine angeboten. Ich bin zuversichtlich, dass es aufwärtsgeht. Aber wenn wir das nächste Jahr mit so begrenzter Kapazität weitermachen müssen, packen wir es nicht. Für uns ist es gerade teurer, wieder aufzumachen.

Ist es in der heutigen Zeit nicht ein Risiko, ein Programmkino zu eröffnen? Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Wir haben uns das damals gut überlegt und kalkuliert. Das Risiko war da, aber wir hatten keine Kredite bei der Bank, sondern staatliche Unterstützung in Form von Zuschüssen und Darlehen. Außerdem haben wir uns Geld von Freunden geliehen und eigene Ersparnisse reingesteckt. Wir sind alle vier passionierte Kinogänger*innen. Ich habe neben dem Kino gewohnt und irgendwann in der »Süddeutschen« gelesen, dass der ehemalige Betreiber sich die Miete nicht mehr leisten konnte. Wir sind dann auf den Vermieter zugegangen, aber wir sind uns nicht einig geworden. Ein Jahr später – 2016 – hörte ich, dass er immer noch einen Mieter sucht – da haben wir es wieder probiert, und diesmal hat es geklappt.

Und dann?
Das war spannend, denn bevor wir den Vertrag unterschrieben haben, hatte ich schon 150 gebrauchte Kinostühle gekauft und in Passau eingelagert. Wir mussten für Fördergelder bereits eine Wirtschaftlichkeitsprüfung in Auftrag geben, wussten aber immer noch nicht, ob es mit dem Mietvertrag klappt. Dann haben wir das Kino in einer Wahnsinnsaktion innerhalb von zwei Monaten entkernt, komplett neu ausgestattet und am 4. Oktober 2016 wiedereröffnet.

Das »Neue Maxim« ist mit seinen 108 Jahren das zweitälteste Kino in München. Was ist noch vom Ursprung zu sehen?
Wir haben so behutsam wie möglich erneuert. Im Foyer haben wir noch eine Deckenmalerei, und im großen Saal liegt ein über 100 Jahre alter Eichen-Dielenboden, der irre knarzt, wenn man drübergeht – was einige Leute ziemlich nervig, andere aber super finden.

Wieso funktioniert das Kino jetzt?
Vorher war das Problem, dass das Kino total heruntergekommen war. Es gab keine Heizung und keine Lüftung. Man saß quasi auf der sechsspurigen Straße und hat kaum etwas vom Ton gehört. Das war ein Liebhaberprojekt mit sehr speziellen Filmen. Anfangs waren wir mit einer befreundeten Innenarchitektin dort, die uns beim Umbau geholfen hat. Wir waren total frustriert, sie aber begeistert von der Perle, an der seit Jahrzehnten nichts mehr gemacht worden war.

Wir haben jetzt zwei Säle, was für uns sehr wichtig ist. In dem einen können wir normales Arthouse-Kino zeigen und im zweiten Saal auch mal etwas Abartiges, wenn wir Lust darauf haben. Es gibt auch Kinderfilme. Wir verstehen uns als Stadtteil-Kino, das die Nachbar*innen anspricht. Wir haben auch Popcorn, obwohl ich immer gesagt habe: Niemals werde ich ein Kino aufmachen und Popcorn verkaufen – und zack, schon hatte ich eine Popcorn-Maschine. Wir wollen ein gutes Kulturangebot bieten, aber keine Hemmschwellen aufbauen, indem wir nur Champagner und Kaviar servieren.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Popcorn geändert?
Besser ist es nicht geworden. Ich bin froh, wenn ich keines machen muss. Ich glaube, es hat jeder so die Phase am Anfang, wo er meint: Hey, super – Popcorn! Und dann isst man es vier Wochen lang bei der Arbeit und denkt: Nie wieder! Ich esse selten Popcorn – aber ich verstehe, wenn es für andere Leute dazugehört.

Was gehört denn für Sie dazu?
Gute Filme. Das ist das Allerwichtigste. Und so ein Grundgefühl, dass alles okay ist. Ich brauche keinen Service am Platz und keine Liegesessel, aber ich finde schon, dass das Grundangebot stimmen muss: dass die Leute, die dort arbeiten, nett sind. Es muss sauber sein, die Stühle bequem und die Projektion gut. Für mich aber ist der Hauptgrund, warum ich ins Kino gehe, der Film, den ich sehen will.

Können Sie sich an Ihre ersten Kinoerlebnisse erinnern?
Ich glaube, mein erstes Kinoerlebnis war im Filmtheater Sendlinger Tor in München, ein großes, altes Kino, das kürzlich auf der Kippe stand. Dort habe ich mir mit meinem Papa »Arielle, die Meerjungfrau« von Walt Disney angeschaut. Es gibt nicht den einen Moment, bei dem ich sage: Da bin ich zum Kino gekommen. Aber im Nachhinein denke ich: Das macht alles Sinn. Ich habe als Jugendliche Kinderkino organisiert. Meine Freunde und ich hängten an der Stadtmauer, direkt an unserem Haus, Bettlaken auf, und wir spielten mit dem Beamer DVDs ab. Ich habe dann Geowissenschaften studiert und auch in dem Beruf gearbeitet – aber nebenbei immer auch im Kino und auf Festivals, weil ich irgendwie nicht ohne konnte.

Ist das immer noch so?
Ich gehe privat tatsächlich gerade sehr selten ins Kino, weil ich eine kleine Tochter habe und es schwierig ist, alles zu koordinieren. Eigentlich gehe ich gerne – aber lieber woanders als bei uns, weil ich dann zu abgelenkt bin und mich frage, ob ich den Kolleg*innen an der Kasse helfen oder den Ton etwas leiser stellen sollte. Ich stehe bei uns gerne an der Bar, trinke ein Bier und genieße den Trubel, aber Filme schaue ich lieber bei den Kollegen in anderen Kinos – und sage dann hinterher, dass ihre Projektion nicht so gut war. (lacht) Nein, ich bin niemand, der woanders hingeht, um zu meckern.

Wie steht es denn um die Programmkinos in München?
Ich glaube, wir sind schon die Ausnahme. Das ist ein bissl wahnsinnig, in diesen Zeiten ein Kino zu eröffnen. In München macht quasi jedes Jahr eines zu. Aber ich glaube, wenn man das mit Herzblut und irgendwie auch gut macht, dann funktioniert das. Man darf keine Illusionen haben, dass man damit reich wird. Die Mietpreise sind einfach abartig hoch, und ich glaube, du kannst mit den meisten Kinosälen wesentlich mehr Geld machen, wenn du dort einen Supermarkt eröffnest.

Sind Online-Streaming-Dienste eine Konkurrenz?
Ich glaube nicht, dass uns Netflix immens viele Zuschauer klaut. Du kannst dir zu Hause eine Küche für 50 000 Euro reinstellen und trotzdem ab und zu essen gehen – einfach, weil es etwas anderes ist. Kino ist ein Gemeinschaftserlebnis. Ich zum Beispiel streame überhaupt nicht gerne. Aber es gibt Studien, die besagen, dass Leute, die streamen, überdurchschnittlich häufig ins Kino gehen. Ich glaube, dass sich das ergänzen kann. Kino wird seit der Erfindung des Fernsehens totgeredet. Ich glaube, dass die Leute jetzt gerade – nach dreieinhalb Monaten Streamen – genug haben und wieder in die Kinos gehen.

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