Protest gegen Rissereaktor

Anti-Atom-Aktivisten sehen ein hohes Risiko durch Kühlmittelverlust

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

»Schrott-Reaktor Neckarwestheim abschalten! Jeder Riss ist einer zu viel.« Das stand auf einem großen gelben Transparent, das Atomkraftgegner am Freitagmorgen unter dem Dach der Konzernzentrale von EnBW Energie Baden-Württemberg in Karlsruhe befestigten. Die Kletteraktion der Umwelt- und Anti-Atom-Organisationen Robin Wood und Ausgestrahlt fand zeitgleich zur virtuellen Hauptversammlung des Unternehmens statt - und war Protest gegen die am Donnerstag nach einmonatiger Revision erfolgte Wiederinbetriebnahme des Atomkraftwerks Neckarwestheim-2. EnBW ist Betreiber des Meilers im Landkreis Heilbronn.

In dem AKW bilden sich seit Jahren immer neue Risse, mehr als 300 wurden bereits entdeckt. Betroffen sind Heizrohre in den Dampferzeugern - das sind Schnittstellen zwischen dem Reaktorkern und den Turbinen, in denen unter hohem Druck radioaktives Reaktorwasser fließt. Im schlimmsten Fall könnten die Risse einen schweren Atomunfall bis hin zum Super-GAU verursachen, so Sternia Thimm von Robin Wood und Armin Simon von Ausgestrahlt. Im AKW Neckarwestheim-2‑ sei weiterhin mit gefährlich schnell wachsenden Rissen zu rechnen, EnBW habe einen »irreparabel beschädigten Reaktor mit noch immer aktivem Schadensmechanismus« in Betrieb genommen. Einen Reaktor in diesem Zustand wieder ans Netz zu nehmen, missachte nicht nur deutsche Sicherheitsvorschriften, sondern auch international anerkannte Sicherheitsprinzipien der Kerntechnik. Während der Konzern bei der Hauptversammlung die Dividende für seine Anteilseignerinnen beschließe - an erster Stelle das grün-schwarz regierte Bundesland Baden-Württemberg -, setze er mit dem Wiederanfahren des Rissereaktors Leben und Gesundheit von Millionen Menschen aufs Spiel: »Krasser kann man nicht zeigen, dass bei EnBW Profit vor Sicherheit geht.«

Es wäre Aufgabe des Hauptaktionärs, also der Landesregierung, EnBW zu einem sicherheitsgemäßen Vorgehen zu zwingen und den Betrieb des AKW mit beschädigten Dampferzeugern zu unterbinden, argumentieren Thimm und Simon. Stattdessen habe Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) unter Berufung auf »fadenscheinige« Gutachten erneut seine Zustimmung zum Wiederanfahren des Meilers erteilt. Untersteller hatte erklärt, dass bei der Revision in den vergangenen Wochen auch alle rund 16 000 Heizrohre in den Dampferzeugern auf Korrosionsschäden untersucht worden seien.

Zwei der vier Dampferzeuger waren demnach »befundfrei«, an sieben Rohren der anderen beiden wurden sicherheitstechnisch relevante »lineare Schäden« festgestellt, also Risse. Dazu hab es 19 kleine und nicht registrierpflichtige »volumetrische Wanddickenschwächungen« gegeben, wie zum Beispiel Lochkorrosion. Die sieben betroffenen Rohre würden verschlossen und damit außer Betrieb genommen. Im Vergleich zu den Vorjahren sei die Zahl der Befunde deutlich zurückgegangen, so das Umweltministerium in Stuttgart.

»Ein Abriss nur eines einzigen der mehr als 16 000 Heizrohre kann bereits einen schweren Kühlmittelverluststörfall auslösen, der bis zur Kernschmelze führen kann, mit all ihren Katastrophenrisiken für Menschen und Natur«, sagt dagegen Aktivist Simon. »Das bloße Verstopfen einzelner Rohre, das EnBW bisher praktiziert, ist Flickschusterei.«

Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesgeschäftsführerin des BUND Baden-Württemberg, ergänzt: »Die Dampferzeuger als zentrale Schnittstellen zwischen dem Reaktorkern und der nicht verstrahlten Seite des Atomkraftwerks sind unwiederbringlich geschädigt. Es existiert keine technische Möglichkeit, sie so zu reparieren, dass keine weiteren Risse mehr auftauchen können.«

Das AKW Neckarwestheim-2 wurde 1989 in Betrieb genommen und ist damit das »jüngste« der noch laufenden deutschen Atomkraftwerke. Gemäß des Atomausstiegsgesetz darf der Leistungsbetrieb noch bis Ende 2022 fortgesetzt werden. Im Jahr 2014 erklärte EnBW, dass keine vorzeitige Abschaltung geplant sei. Bereits 1976 war Block 1 des AKW ans Netz gegangen, er wurde nach der Atomkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 zwangsabgeschaltet.

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