Nach NS-Vergleichen: Gedenkenstätten-Chef muss gehen

Stiftungsrat der Sächsischen Gedenkstätten missbilligt Äußerungen über die Stuttgarter Krawallnacht

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Dresden. Nach zwei Twitter-Äußerungen ist der Druck auf den Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, Siegfried Reiprich, zu groß geworden: Der Stiftungsrat hat den 65-Jährigen am Dienstag mit sofortiger Wirkung von seinem Amt freigestellt. Er werde keinerlei Geschäften und Tätigkeiten der Stiftung mehr nachgehen, sagte Sachsens Kulturministerin und Stiftungsratsvorsitzende Barbara Klepsch (CDU) nach einer Sondersitzung des Gremiums in Dresden.

Die auf Twitter geäußerten Aussagen widersprächen »klar dem Sinn der Gedenkstättenarbeit«, betonte Klepsch. Der Stiftungsrat missbillige sie ausdrücklich. Reiprich hatte die Stuttgarter Krawallnacht vom Juni mit dem NS-Pogrom 1938 verglichen und war damit bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Zuvor hatte er den Stiftungsrat aus gesundheitlichen Gründen um eine vorzeitige Auflösung seines Vertrages gebeten. Das Arbeitsverhältnis werde nun zum 30. November aufgelöst, sagte Klepsch. Bis dahin werde die vertraglich vereinbarte Vergütung gezahlt.

Reiprich hatte das Amt seit 2009 inne. Einer sofortigen Freistellung stimmten laut Klepsch alle 14 anwesenden Mitglieder des Stiftungsrates zu. Insgesamt gehören einschließlich der Ministerin 17 Personen zu dem Gremium. Ursprünglich war der Wechsel an der Spitze der Stiftung für Januar 2022 vorgesehen.

Mit der Berufung eines neues Geschäftsführers oder einer Geschäftsführerin ist Klepsch zufolge nicht vor Frühjahr 2021 zu rechnen. Eine Findungskommission mit zehn Mitgliedern werde zunächst eine Stellenausschreibung formulieren, später Bewerbungen bewerten und dem Stiftungsrat eine oder mehrere Personen zur Wahl vorschlagen.

Kommissarisch übernimmt die Aufgaben von Reiprich der amtierende stellvertretende Geschäftsführer Sven Riesel. Der Historiker und Kulturwissenschaftler ist seit 2011 in der sächsischen Stiftung tätig.

Für seine Twitter-Äußerungen hatte sich Reiprich entschuldigt und Fehler eingeräumt. Die ihm unterstellte Gleichsetzung der von den Nationalsozialisten zynisch als »Kristallnacht« verharmlosten Reichspogromnacht mit den Stuttgarter Ereignissen wies er jedoch in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressdienst (epd) zurück.

Wörtlich hatte er getwittert: »War da nun eine Bundeskristallnacht oder 'nur' ein südwestdeutsches Scherbennächtle?« Tags darauf sorgte er auf derselben Plattform mit einer weiteren Äußerung für Irritationen, in der er weiße Menschen als bedrohte Minderheit darstellte.

Linke und Grüne im Landtag zeigten sich erleichtert über die Freistellung, alles andere hätte dem Ansehen des Freistaates weiter geschadet. Die Stiftung brauche eine Person an ihrer Spitze, die das Amt besonnen, wissenschaftlich korrekt und unbestritten integer führe, sagte der Kulturpolitiker Franz Sodann (Linke). »Der Mann war keinen Tag länger tragbar.«

Aus Sicht seiner Grünen-Fachkollegin Claudia Meicher (Grüne) hat sich Reiprich immer mehr von Grundsätzen der Erinnerungskultur distanziert. Er sei für »vielfältige Missstände« und den »Entwicklungsstillstand der Stiftung« verantwortlich und seine Entbindung »ermöglicht der Stiftung einen Neustart«. Wie Sodann erwartet sie ab Herbst spürbar positive Auswirkungen in der Arbeit der Stiftung - und verwies auf die seit Jahren überfällige neue Gedenkstättenkonzeption.

Nach Angaben des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers Frank Richter, der als Parteiloser für die SPD im Landtag sitzt, schafft die Suspendierung des Gedenkstättenchefs Klarheit. »Zweideutige und ressentimentgeladene Äußerungen, die Zweifel an der strikten
Ablehnung rechten Gedankengutes zulassen, werden in Sachsens Öffentlichkeit identifiziert und geächtet.« Nun sei in der Stiftung endlich wieder Sacharbeit möglich.

Richter hatte Reiprich vorgeworfen, »bewusst, willentlich und öffentlich mit Vergleichen aus der NS-Zeit« zu spielen und dienstrechtliche Konsequenzen gefordert. Indem Reiprich sich als Anhänger rechten Gedankenguts zu erkennen gebe, verletze er genau die Opfergruppen, für die er als Geschäftsführer eine besondere Verantwortung habe. Agenturen/nd

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