Lieben in der Naziwelt

Der Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen nimmt am Beispiel von drei deutschen Unterhaltungsfilmen der frühen 40er Jahre eine politische Analyse vor

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor etwa 15 Jahren besuchte ich an der Bremer Uni Seminare zum populären Kino der Nazis, in denen dieses als unpolitisch behandelt wurde. Der Filmwissenschaftler, der sich diese Lehrveranstaltungen ausgedacht hatte, stand kurz vor der Rente und gehört zur 68er Generation - ein linker Akademiker aus Westdeutschland. Der Mann schien politisch integer und hielt doch das Nazikino für harmlos. Als Beleg galten ihm genretypische Merkmale und fehlende offene Propaganda. Weil aber die wöchentlich vier Stunden mit dem fleißigen Studium der Filme selbst gefüllt waren, kam man nicht umhhin, direkt am ästhetischen Material ideologische Spuren zu entdecken. Von Unterhaltungsunschuld blieb nichts übrig: Denn die Welt, in der Liebende sich fanden oder Reisen unternahmen, war die deutsche Naziwelt mit der ihr eigenen Geschlechter- und Weltordnung.

In der Filmbuchreihe des Verbrecher-Verlags (Filit) ist nun ein neuer Band erschienen, in dem der Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen am Beispiel von drei deutschen Unterhaltungsfilmen der frühen 40er Jahre eine politische Analyse vornimmt. Jacobsen hat sein Buch »Nazis können nicht lieben« genannt. Liebe wird darin tatsächlich nur negiert oder verraten. Zugegeben, die Filme, über die der Autor schreibt, wurden mit politischem Auftrag gedreht. Allerdings betont Jacobsen Momente, die eher formal oder ästhetisch denn inhaltlich aufzufassen sind.

Der Autor, geboren 1953, war bis vor Kurzem Leiter der Abteilung für Forschung und Publikation an der Deutschen Kinemathek. Jacobsen unternimmt dennoch keine klassische Filmanalyse. Er geht bei seiner Untersuchung assoziativ vor, ohne dabei beliebig zu werden, lässt sich von seinem Material leiten, beschreibt längere Sequenzen, erläutert Produktionszusammenhänge und zieht realpolitische Diskurse hinzu. Der Duktus des Textes ist erzählerisch ausufernd, dann plötzlich wird er ganz sachlich und referiert faktische Entwicklungen, manchmal verliert man sich darin.

Was man nicht findet, ist eine schlüssige Nacherzählung der Filme. Stattdessen verfolgt er durch die Filme politische Debatten, rechtliche Diskurse und ihre populären Bilder, etwa zur Einteilung in wertes und unwertes Leben. Jacobsen isoliert einzelne Momente, entfremdet sie auf diese Weise, damit man sie richtig betrachten kann. Er folgt ihren politischen, mörderischen Motiven auch über die Filme hinaus, in hinduistischen Shiva-Kult und die Musik von Joseph Haydn.

Der Autor geht von eigenen Erfahrungen aus, ästhetisch wie biografisch. So beschreibt er die verschwiegenen Städte, die er als Kind in den 50er und 60er Jahren erlebte. Das war die Zeit, die ganz direkt auf die Filme der verratenen Liebe folgte. Die Städte dieser Zeit waren von Invaliden bevölkert, die ihren Geschäften nachgingen, ohne dass man wusste, wo sie ihre Gliedmaßen verloren hatten. Manche dieser Gestalten unterrichteten ihn in der Schule, sprachen aber weder von den Verbrechen der Deutschen noch von ihrer eigenen Rolle im Nationalsozialismus. Der linke Bremer Filmwissenschaftler, zu jung, um eine eigene Schuld zum Verdrängen zu haben, sprach gerne von den faschistischen Staaten, für die er Israel und die USA hielt, wollte im faschistischen deutschen Film jedoch einfach keinen Faschismus erkennen.

Einer der Filme, die Jacobsen in seinem Buch bespricht, ist Wolfgang Liebeneiners »Ich klage an« von 1941. Das Drama gehört zu den bekannteren, propagandistischen Filmen des NS. Sein Zweck war es, eine breite gesellschaftliche Akzeptanz für das Euthanasieprogramm der Nazis zu schaffen, bei dem mehr als 70 000 als körperlich oder geistig krank definierte Menschen getötet wurden.

Erzählt wird die Geschichte eines Paares. Die junge Frau zeigt Symptome der Multiplen Sklerose, die sich im Laufe der Handlung verschlimmern. Sie entwickelt den Wunsch zu sterben, um nicht ihrem Mann, einem Arzt, zur Last zu fallen. Sie bittet ihn, sie zu töten, was er schließlich tut. Mit einem befreundeten Arzt, und später vor Gericht als Angeklagter, wird ein ethisch juristischer Diskurs gesponnen. Der juristisch Beschuldigte geht daraus als moralisch unschuldig hervor - was ist schon Recht gegen gefühltes Recht?

Jacobsen beschreibt die schnelle Bildfolge, die die zunächst agilen, dann gebrochenen Bewegungen der erkrankten Frau verfolgten und später ganz aus dem Kader drängten. Auf diese Weise wird ihre Krankheit registriert und sie selbst schließlich dingfest gemacht. In einem kleinen Mädchen, das an Meningitis erkrankt, spiegelt sich die erwachsene Frau. So wird suggeriert, man hätte der Krankheit der erwachsenen Frau viel früher vorbeugen können.

Ein Detail, auf das Jacobsen aufmerksam macht, ist der Kunstdruck eines Gemäldes von Giovanni Segantini, das im Haus des Ehepaares hängt. Jacobsen beschreibt, wie sich die Kamera in einem quasi selbstständigen Akt auf dieses Bild zubewegt. »Le due madri« (1889) zeigt eine Szene in einem dunklen Stall: eine Frau mit ihrem Kind nebst einer Kuh mit deren Kalb. Das Glück scheint natürlich, das Unglück scheint es auch. Der Kampf gegen das Unglück käme der Liebe wohl nah. Der Kampf gegen das Unglück aber scheint widernatürlich. Nazis können nicht lieben.

Wolfgang Jacobsen: Nazis können nicht lieben. Drei Filme aus Deutschland. Verbrecher-Verlag, 160 S., geb., 16 €.

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