Für Lukaschenko wird die Luft dünn

Vor dem EU-Sondergipfel dreht sicht der Wind weiter gegen den Präsidenten von Belarus

  • Denis Trubetskoy, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Nicht oft berät die EU im Rahmen eines Sondergipfels über außenpolitische Fragen. Doch wegen der Situation in Belarus, wo landesweit gegen den fragwürdigen Wahlsieg des seit 1994 regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko protestiert wird, setzen sich am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs im Rahmen einer Videokonferenz zusammen. »Die Belarussen haben das Recht, ihren Anführer frei zu wählen«, hieß es vom Ratspräsidenten Charles Michel, dem ehemaligen belgischen Ministerpräsidenten.

Angesichts der eindeutigen Überzahl bei den Teilnehmern an den Protesten gegen Lukaschenko im Vergleich zur eher kleineren Demonstration für den 65-Jährigen am vergangenen Sonntag ist es tatsächlich schwer zu glauben, dass seine Herausforderin Swetlana Tichanowskaja am 9. August lediglich knapp zehn Prozent holte. So forderte unter anderem die deutsche Bundesregierung vor dem Gipfel das Mitwirken der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei der Überprüfung des Wahlergebnisses. Die Wahlen wurden zum ersten Mal nicht von der OSZE beobachtet, weil diese nicht rechtzeitig eingeladen wurde.

Beim Sondergipfel geht es insbesondere um mögliche persönliche und wirtschaftliche Sanktionen, für die sich am Freitag bereits die EU-Außenminister ausgesprochen haben. Es ist noch unbekannt, welche Personen auf der neuen Sanktionsliste wegen der Gewaltanwendung und Wahlfälschung landen könnten. Die Sanktionen würden jedenfalls eine deutliche Erschwerung der Beziehungen zwischen Brüssel und Minsk bedeuten, nachdem die EU 2016 die damaligen Sanktionen in Folge der Freilassung von mehreren politischen Gefangenen aufhob. »Die Einführung der neuen Sanktionen würde das Ende der Politik zwischen Belarus und der EU unterstreichen«, betonte das Außenministerium in Minsk. Weil die ungarische Regierung durchaus gute Beziehungen zu ihren belarussischen Kollegen pflegt, ist es unklar, wie scharf die Reaktion des EU-Gipfels sein wird.

Einfach ist die Ausgangslage für Brüssel nicht. Zuerst machte sich Lukaschenko wegen der möglichen Einmischung Sorgen, was zur Verhaftung der vermeintlichen Söldner der privaten russischen Sicherheitsfirma Wagner führte. Nun wirft der belarussische Autokrat allerdings mehreren EU-Staaten vor, die Proteste in Belarus zu beeinflussen. Als Antwort darauf begann das Land sogar ein Manöver an der Grenze zur EU. Außerdem betont Lukaschenko nach seinen zwei Telefonaten mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin stets, Moskau würde bei einer äußeren Gefahr gemäß den existierenden Verträgen Minsk helfen.

Eine westliche militärische Invasion in Belarus ist so gut wie ausgeschlossen, während die Position des Kremls in der aktuellen Krise unprognostizierbar bleibt. Die EU muss in dieser Lage diplomatisches Fingerspitzengefühl zeigen. Das wurde auch beim Telefonat zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten Putin am Dienstag deutlich. »Die russische Seite betonte, dass jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Belarus inakzeptabel ist«, kommentierte die Pressestelle des Kremls das Gespräch.

In Belarus selbst setzte sich ab Montag der Versuch eines Generalstreiks fort. Bisher ist dieser kein eindeutiger Erfolg, aber auch für Lukaschenko gibt es wenig Gründe zum Freuen. Tatsächlich wird bei zahlreichen Großbetrieben des Landes protestiert, wirklich stillstehen diese bis heute jedoch nicht. Die aktiven Unzufriedenen gibt es so gut wie in jedem Betrieb, und sie versuchen ständig, die passivere Mehrheit auf ihre Seite zu ziehen. Das klappt nicht überall. Auch Drohungen Lukaschenkos, Teilnehmer der Streiks zu entlassen, wirken dabei.

Trotzdem gibt es für den Präsidenten zwei schlechte Nachrichten. Einerseits stehen wohl auch die Arbeiter, die bisher weitermachen, nicht hinter ihm, was Lukaschenkos Besuch an einer Fabrik am Montag vor dem ausgewählten Publikum andeutete. Selbst dort wurde er ausgepfiffen. Hinzu gingen in Minsk am Montagabend wieder Tausende gegen Lukaschenko auf die Straßen.

Der Wind dreht sich massiv gegen Lukaschenko - und das bemerkt er selbst. Zum ersten Mal sprach er sich nicht kategorisch gegen die Möglichkeit von Neuwahlen aus. Aber zunächst soll auf einem Referendum über eine Verfassungsreform abgestimmt werden, erst im Anschluss sollen dann alle Machtorgane neu gewählt werden. Für Lukaschenko ist dieser Vorschlag ein Spiel auf Zeit. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit der Belarussen, die sich derzeit gegen den 65-Jährigen positioniert, mit ihm über eine Reform der Verfassung diskutieren würde. Lukaschenkos Sicherheitsapparat braucht nach den jüngsten Ereignissen indes Zeit, um durchzuatmen.

Derweil verkündete die nach Litauen ausgereiste Swetlana Tichanowskaja die Ausrufung eines Streiks sowie eines Koordinationskomitees. Die beiden Strukturen sollen den Machttransfer von Lukaschenko zur Opposition durchführen. Telegram-Kanäle wie Nexta, die Proteste koordinieren, rufen die Demonstranten zudem dazu auf, nicht die lokalen Behörden in ihren Städten, sondern die Komitees als legitime Machthaber anzuerkennen. Zum Koordinationsrat gehört nun unter anderem die Nobelpreisträgerin für Literatur Swetlana Alexijewitsch. So will Opposition parallele Machtstrukturen schaffen, damit der bisher führungslose Protest neue Stufen erreicht. Lukaschenko nimmt das Vorhaben ernst: »Sie fordern von uns, die Macht zu übertragen. Wir betrachten dies eindeutig als Versuch, die Macht mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen zu ergreifen. Deswegen warne ich die Mitglieder des Komitees: Wir werden dagegen angemessene Maßnahmen treffen, natürlich im Sinne der Verfassung und des Gesetzes.«

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