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  • Kunstsammlungen Chemnitz

Kunst ist gefährlich für jede Ideologie!

Vor 100 Jahren wurden die Kunstsammlungen Chemnitz gegründet

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.

Nein, der Expressionismus musste nicht erst nach Chemnitz gebracht werden, er wuchs in der Stadt selbst. Davon zeugt heute noch jede Straßenbahn, die nach Rottluff fährt - einem Vorort von Chemnitz, aus dem der Maler Karl Schmidt-Rottluff stammt. Die Künstlergruppe »Brücke« versammelte sich zwar in der Residenzstadt Dresden, aber der expressive Funke kam aus Chemnitz, dem sächsischen Manchester, mit seiner Textilindustrie. Von 1860 bis 1900 wuchs die Bevölkerung der Stadt von 40 000 auf 200 000. Wenn das kein rasanter Aufstieg ist! Aber wie jeder Aufstieg hatte er Gewinner und Verlierer.

Hier schufen das neue Tempo der Maschinen, die grellen Kontraste, die schrillen Töne eine neue Art, in der Welt zu sein. Chemnitz gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den wichtigsten - und reichsten - Industrie-Metropolen der Welt. Davon zeugt Ernst Ludwig Kirchners »Industrielandschaft mit Schornsteinen« von 1926. Weniger expressiv denn pittoresk wirkt diese Insel aus giftigem Grün, Violett und blassem Rot. Wie ein Schatten liegt der Rauch der Schornsteine über der Szenerie, die jedoch nichts Gefährliches zu haben scheint, sondern geradezu anheimelnd wirkt. So verbinden sich die vielen Schornsteine mit den Bäumen im Vordergrund auf selbstverständliche Weise zu einer Industrielandschaft. Eine freundliche Utopie. Andere Bilder leuchten stärker in die dunklen Ecken des Aufschwungs und stoßen dabei auf soziales und moralisches Elend.

Und heute? Ist das alles Erinnerung. Aber vielleicht gilt es nicht nur, die Schätze dieser Gründerzeit zu hüten (die Kunstsammlungen Chemnitz mitsamt dem Gunzenhauser-Museum gehören zu den umfangreichsten hierzulande), sondern auch gegenwärtigen Impulsen zu folgen. Chemnitz will europäische Kulturhauptstadt 2025 werden, ringt dabei zudem um seine Zukunft als dritte große Stadt Sachsens zwischen Dresden und Leipzig. Pläne gab und gibt es viele. Ein neues Theater sollte gebaut werden, davon ist nun erst einmal keine Rede mehr. Die Kunstsammlungen unter ihrem neuen Direktor, dem gebürtigen Franzosen Frédéric Bußmann (der bereits mit einer interessanten Ausstellung zu André Masson überraschte), müssen eine kulturelle Schrittmacherfunktion übernehmen. Die Kunst soll aus dem Museum in die Stadt! Aber das erweist sich, wie die Parallel-Ausstellung »Gegenwarten« zeigt, als schwierig.

Kunst ist Katalysator gesellschaftlicher Entwicklung! Mit diesem Programm waren 1920 die Kunstsammlungen als Städtisches Museum gegründet worden, unter der ambitionierten Leitung von Friedrich Schreiber-Weigand, der das neue Haus »im Morgenlichte der jungen deutschen Republik« sah. Der wichtigste Künstler für dieses Gegenwartsmuseum war ein Chemnitzer: Karl Schmidt-Rottluff. Geht man durch die Jubiläumsausstellung »Im Morgenlicht der Republik - 100 Jahre Kunstsammlungen Chemnitz«, dann dominieren seine farbstarken Bilder, um die sich jene von Lyonel Feininger, Otto Dix, Edvard Munch, Ernst Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Ernst Barlach oder Käthe Kollwitz gruppieren. Das Museum verwandelte sich in den 20er Jahren in eine Art barocke Wunderkammer für moderne Kunst - und jetzt einen Ausschnitt aus den reichen Beständen besichtigen zu können, ist allemal beglückend.

Doch nach 1933 war diese Ankaufspraxis vorbei. Auch das zeigt die Jubiläumsausstellung auf verdienstvolle Weise. Der Diffamierung moderner Kunst als entartet folgte eine Raubzug der NS-Kunstwarte durch Galerien und Museen. Auch in Chemnitz war 1937 die Ausstellung »Entartete Kunst« gezeigt worden - davon künden die Plakate aus dieser Zeit, mit dem Hinweis, die Ausstellung sei für Jugendliche unter 18 Jahren »streng verboten«. Ja, Kunst ist gefährlich für jede Ideologie!

Was alles fehlt, beschlagnahmt, verkauft oder zerstört wurde in der Nazi-Zeit, zeigt eine Fotomontage, die eine ganze Wand einnimmt. Weniges kam nach 1945 zurück. Darunter Schmidt-Rottluffs Werk »Landschaft im Herbst« von 1910, das jetzt wieder den Kunstsammlungen gehört. 1937 als »entartete Kunst« beschlagnahmt, wurde es auf einer Auktion in Luzern angeboten - fand jedoch keinen Käufer. Die Vernichtung des Werkes, das dem NS-Regime nun keine Devisen mehr einbringen konnte, drohte.

Da trat Bernhard A. Böhmer auf den Plan, eine der zwielichtigsten Figuren der Kunstszene im Dritten Reich. Ernst Barlach lebte mit dessen geschiedener Frau Marga zusammen, und Bernhard A. Böhmer profilierte sich als eine Art Manager Barlachs, der sich geschäftlichen Dingen verweigerte. Böhmer gehörte zu den vier deutschen Kunsthändlern, die »entartete Kunst«, die aus deutschen Museen gestohlen wurde, gegen Provision ins Ausland verkaufen durften. Böhmer, NSDAP-Mitglied mit besten Kontakten in Goebbels Propaganda-Ministerium, ist jedoch auch die Rettung von Barlachs »Schwebendem Engel« und seines »Geistkämpfers« vor der sicheren Zerstörung maßgeblich mit zu verdanken. Und auch Schmidt-Rottluffs »Landschaft im Herbst« kaufte er nun auf eigene Rechnung. Nachdem sich Böhmer im Mai 1945 beim Einmarsch der Roten Armee in Güstrow das Leben genommen hatte, kam sein Nachlass ins Rostocker Museum im Kloster zum Heiligen Kreuz, von wo aus das Werk 1957 den Kunstsammlungen Karl-Marx-Stadt zurückgegeben wurde. So haben auch Bilder ihre Biografie, in denen sich der Schrecken des 20. Jahrhunderts spiegelt.

Nach 1945 gehörten die Chemnitzer Kunstsammlungen wieder zu den eifrigsten Ankäufern von Werken, die nicht dem gängigen Mainstream zuzurechnen waren, so etwa von Carlfriedrich Claus, dessen surreale »Psycho-Allegorie« von 1963 in der Ausstellung gezeigt wird. Von Wolfgang Mattheuer ist der Linolschnitt »Seltsamer Zwischenfall« von 1980 zu sehen: Ikarus abgestürzt, freigegeben der Besichtigung durch Touristen, die in einer Zahnradbahn an dem Verunfallten vorbeifahren - die Fotoapparate sind gezückt. Dieser Gegenwart, so die Botschaft, mangelt es an einer Vision für die Zukunft.

Ein kurzer Seitenblick wird auch auf die AG Geige geworfen, eine bekannte Karl-Marx-Städter Punkband der Vorwendezeit, deren Plakate 1986 selbst gestaltete Siebdrucke waren - getreu dem Szenemotto der »genialen Dilettanten«. Bandmitglied Jan Kummer ist immer noch eine wichtige Größe der Chemnitzer Kulturszene.

Allerdings scheint das Konzept der soeben eröffneten Ergänzungsausstellung »Gegenwarten« zumindest teilweise ins Leere zu laufen. 20 Kunstprojekte sollen - kurz vor der Entscheidung über die europäische Kulturhauptstadt-Bewerbung - Kunst im Stadtraum sichtbar machen. An sich ein begrüßenswerter Anspruch. Das Problem ist: Hierfür hat man - mit viel Geld - Aktionskünstler eingeladen, die sich sonst auf der documenta in Kassel oder der Biennale in Venedig gegenseitig ihre Visitenkarten in die Hand drücken - und die einheimische, zudem hochkreative Chemnitzer Szene schaut als Zaungast verblüfft zu, wie hier die Routiniers Selbstvermarktung betreiben.

Eine problematische Weichenstellung - denn die durchreisende Kunstszene bedient hier vor allem eins: die Aufmerksamkeitsindustrie. Das »Peng!-Kollektiv« hätte es mit seinem Beitrag »Antifa - Mythos & Wahrheit« fast (aber dann doch nicht ganz) geschafft, wieder ausgeladen zu werden - »Cancel Culture« hat als Thema gerade Konjunktur. Der Streit mit der Museumsleitung entzündete sich an einem Begleittext über die sogenannte Hufeisentheorie (die Rechts- und Linksextremismus in einen Zusammenhang stellt), die in der Ausstellung mit den Worten kommentiert wird, die Gleichsetzung von Antifa und Neonazis durch diese Theorie und »deren Verbreitung durch Parteien wie CDU, FDP und AfD« sei fatal. Diese drei Parteien in einem Atemzug zu nennen, fand wiederum der Chef der Kunstsammlungen Frédéric Bußmann fatal. Aber der Text blieb, von Ausladung kann also nicht die Rede sein.

Wem nützen solche medial forcierten Aufregungen? Viele Chemnitzer wünschen sich, in die Kunst-in-der-Stadt-Debatten stärker mit einbezogen zu werden, statt nur deren mitunter fragwürdige (oft auch beliebige) Resultate bewundern zu sollen, so das halb im Schlossteich versenkte Auto mit dem Titel »Versinken« des Schweizer Künstlers Roman Signer. Unbekannte haben es inzwischen mit Steinen beworfen - und nun ist es so lädiert wie Chemnitz selbst.

»Im Morgenlicht der Republik« und »Gegenwarten«, beide bis 25.10. in den Kunstsammlungen Chemnitz und an diversen Orten der Stadt.

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