Leipziger Straßenkampf

Bei Protesten gegen Verdrängung Ärmerer und Räumung eines besetzten Hauses kam es zu Ausschreitungen

Der Tenor der Medienberichte war eindeutig: »Linksextremisten wüten in Leipzig« titelte etwa die Deutsche Presse-Agentur. Doch was war im alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz und im Leipziger Osten passiert? Auslöser von Protesten, die bereits den dritten Abend in Folge anhielten, war die Räumung eines besetzten Hauses im Leipziger Osten am vergangenen Mittwoch.

Es befindet sich in der Ludwigstraße im Osten der Stadt. In das leerstehende Gebäude war am 21. August eine Gruppe eingezogen, die sich »Leipzig besetzen« nennt (»nd« berichtete). Der Eigentümer war nicht zu Gesprächen über das Nutzungskonzept der Besetzer bereit und erstattete Anzeige. Die Polizei vollstreckte schließlich einen richterlichen Räumungsbeschluss.

Wer die Vermummten waren, die am Samstagabend in Connewitz Steine in Scheiben und auf Polizisten warfen, ist derzeit noch nicht klar. Am Samstagabend hatte es zunächst eine angemeldete Demonstration unter dem Motto »Kämpfe verbinden - für eine solidarische Nachbar*innenschaft« mit rund 500 Teilnehmenden gegeben. Redner forderten Freiräume und wandten sich gegen die Verdrängung ärmerer Bewohner durch ungebremste Mietsteigerungen. Weil es schon an den beiden Abenden zuvor Ausschreitungen gegeben hatte, war die Polizei mit einem Großaufgebot im Einsatz. Mehrere Hundertschaften wurden von Thüringer und Kräften der Bundespolizei unterstützt.

Nach Angaben von Polizeisprecherin Mandy Heimann kam es schon unmittelbar nach Beginn der Demo »aus der Versammlung heraus von Teilnehmern zu Steinwürfen gegen Polizeibeamte sowie gegen Gebäude und zum Zünden von Pyrotechnik«. Deshalb sei die Versammlung aufgelöst worden. Mehrere Menschen wurden in Gewahrsam genommen, gegen 15 Personen wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingeleitet.

In der Nacht brannte auch ein Streifenwagen auf einem Gelände der Polizei in Leipzig-Lindenau. Insgesamt beteiligen sich nach Polizeischätzungen rund 500 Menschen an der angemeldeten Demo. Nach Mitternacht hielten sich noch etwa 150 Personen in dem Gebiet auf. Sie besprühten eine Straßenbahn mit Graffiti, bauten Straßenbarrikaden und zündeten Mülltonnen an.

Zu ähnlichen Szenen war es bereits am Donnerstag- und Freitagabend gekommen, sowohl in Connewitz, wo am Freitagabend ebenfalls kurzzeitig ein Haus besetzt worden war, als auch im Osten der Stadt.

Juliane Nagel, Abgeordnete der Linken im sächsischen Landtag und Leipziger Stadträtin, sagte dem »nd«, sie sei »kein Fan von Gewalt«, zumal diese »das Schmieden von Bündnissen« gegen den Mietenwahnsinn erschwere. Zugleich könne sie verstehen, dass »Leute ausrasten«. In Connewitz würden Neubauwohnungen nicht mehr unter zehn Euro pro Quadratmeter nettokalt vermietet, »und das bei einem Durchschnittseinkommen von 1500 Euro im Stadtteil«. Nagel erinnerte daran, dass Sachsen eines von drei Bundesländern ist, die die Mietpreisbremse noch nicht umgesetzt haben. »Wir als Linke setzen uns seit mindestens zehn Jahren für Mechanismen ein, die Mieten begrenzen. Aber auf Stadt- und Landesebene ist das schwierig.«

Kritisch zur Darstellung der Ereignisse in Politik und Medien äußerte sich der Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek. Auf Twitter schrieb er: »Wenn wir gerade über Gewalt sprechen, sollten wir vielleicht auch über strukturelle Gewalt sprechen. Darüber, dass Menschen keinen Platz zum Wohnen haben, darüber, dass Menschen wohnungslos sind und Menschen zwangsgeräumt werden.« Zudem sieht Kasek Arbeitsverweigerung bei der Politik bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.

Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schultze heizte derweil die Stimmung an, indem er die Angriffe auf Beamte in Schutzausrüstung als »Tötungsdelikte« einordnete: »heimtückisch und mit Mitteln, die den Tod der Menschen, die getroffen werden, in Kauf nehmen«. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) kündigte an, sich für schärfere Strafen bei Gewalt gegen Polizisten einzusetzen. Bei tätlichen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte liegt das Mindeststrafmaß derzeit bei drei Monaten. Wöller will es auf sechs Monate heraufsetzen. Die entsprechenden Strafrechtsparagrafen 113 bis 115 waren erst 2017 erheblich verschärft worden. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) verurteilte die Gewalt von Demonstranten »aufs Schärfste«. Die Debatte um bezahlbaren Wohnraum habe sowohl dadurch als auch durch Hausbesetzungen einen schweren Rückschlag erlitten, erklärte er am Samstag.

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