Schüchtern im Rampenlicht

Tadej Pogacar sorgte bei der Tour de France doch noch für einen slowenischen Führungswechsel

  • Tom Mustroph, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Kleidersorgen muss sich dieser junge Mann nicht mehr machen. Nach seinem überragenden Sieg beim Zeitfahren auf der Planche des Belles Filles suchten die Zeremonienmeister vom Tourausrichter ASO gleich drei Trikots in der Kleidergröße von Tadej Pogacar heraus und beflockten es mit dem Logo seines Rennstalls: das Gelbe Trikot des Gesamtführenden, das Weiße des besten Jungprofis und das Gepunktete des Bergkönigs. Das Weiße Trikot hatte er schon vorher getragen - als mit Abstand bester Profi unter 25 Jahren. Die zwei anderen holte er aber mit einem furiosen Zeitfahren, bei dem er seinem Landsmann und Kumpel Primoz Roglic fast zwei Minuten abgenommen hatte.

Er selbst, sagte er, habe an ein solches Kunststück nicht geglaubt. »Ich bin angetreten, um ein gutes Zeitfahren zu machen, um meine zweite Position zu festigen«, beteuerte er - und blickte dabei aus seinen jungen Augen so über den Rand der Maske, dass man nicht anders konnte, als ihm zu glauben. Wie auch immer: In Gelb fuhr der 21-Jährige am Sonntag jedenfalls zum Ziel in Paris. Sein Team hatte schon bei der Siegerehrung am Vortag eine gelbe Maske für ihn vorbereitet. Und auch eine gepunktete Maske tauchte rechtzeitig zur Zeremonie der Bergwertung auf. »Ja, mein Team hat das vorbereitet, wie es mich die ganze Tour lang gut unterstützt hat«, sagte Pogacar brav. Da wirkte er wie ein Gymnasiast, der, als er gelobt wird, den Klassenraum sauber gemacht zu haben, sich noch bei den Kumpels bedankt, die ihm den Besen in die Hand gedrückt haben.

Im Rampenlicht seines Erfolgs wirkt dieser junge Mann schüchtern, fast unscheinbar. Aufmerksam hörte er bei den Fragen zu, bemühte sich, auch Doppelfragen ausführlich zu beantworten. Auf dem Rad jedoch ist er eine Donnergewalt. Das durfte Primoz Roglic schon im vergangenen Jahr erfahren. Bei der Spanienrundfahrt stürmte Pogacar auch am allerletzten großen Berg des Rennens los und fuhr sich noch auf Gesamtrang drei. Der Sieg von Roglic geriet damals nicht ins Wanken. Dass Pogacar ein Erholungskünstler ist, jemand, der in einer dritten Tour-Woche noch mal gewaltig zuschlagen kann, deutete sich aber da schon an. »Jumbo Visma hätte gewarnt sein müssen. Sie hätten mehr Vorsprung auf diesen jungen Mann herausfahren müssen«, urteilte Altmeister Eddy Merckx. Aber selbst Pogacar glaubte offenbar selbst nicht daran, dass ihm der Umsturz gelingen würde: »Primoz wirkte doch so stark.«

Im Kampf gegen unüberwindlich scheinende Hindernisse aber ist Pogacar geübt. Als er als Kind zum Radsport wollte, weil sein älterer Bruder den schon ausübte, gab es kein Rad für ihn, weil er zu klein war.Doch ein paar Monate später begann er mit dem Training. Auch danach hatte er es nicht einfach. »Seine Altersgenossen überragten ihn um zehn bis 20 Zentimeter, vor allem im Kampf gegen den Wind machte sich das bemerkbar«, erzählte Miha Koncilija, Pogacars Jugendtrainer, »nd«. Koncilija ist aber sicher, dass dies auf lange Sicht gesehen kein Nachteil war. »Er lernte dabei zu kämpfen, sich gegen Größere und Stärkere durchzusetzen«, meinte Koncilija. Das führte dann zu solchen Bildern, dass der Knirps auf der obersten Podest noch immer von denen überragt wurde, die auf den Stufen darunter standen. Im Rennen aber hatte er die größeren bezwungen.

Nationale Aufmerksamkeit errang Pogacar erstmals bei den slowenischen U17-Landesmeisterschaften. »Es war ein schwerer, bergiger Kurs. Etwa 40 Kilometer vor dem Ziel zog er allein los und gewann«, erinnert sich Koncilija. Schon vorher war er den Fachleuten aufgefallen. »Seit seinem 14. Lebensjahr haben wir Aufzeichnungen von ihm«, erzählt Radoje Milic »nd«. Er ist Sportwissenschaftler und leitet das leistungsdiagnostische Labor an der Universität Ljubljana. »Die Daten, die wir haben, zeigen ein kontinuierliches Wachstum«, berichtet er. Allerdings eins in großen Schritten. Musste Pogacar anfangs kämpfen, sich in seiner Altersgruppe durchzusetzen und gehörte dann zu den Besten, so wuchs er spätestens mit 18 Jahren über sie hinaus. Mit 20 hatte er seinen ersten Profivertrag. In diesem Alter gewann er mit der Kalifornienrundfahrt auch sein erstes WorldTour-Rennen - ein Sieg in der ersten Kategorie als jüngster Radprofi überhaupt. Die Champagnerflasche, die er überreicht bekam, durfte er nicht öffnen. Er war zu jung dafür, jedenfalls laut der US-Gesetzgebung. Trinken darf er mittlerweile überall. Und der Champagner in Paris ist mit Sicherheit nicht der schlechteste.

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