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  • Post-Punk aus Jugoslawien

Hinter dunklen Brillen weinen

Wer kennt Goth und Post-Punk aus Jugoslawien und den Nachfolgestaaten? Eine kurze Einführung

  • Paula Balov
  • Lesedauer: 6 Min.

Spricht man von Goth-Rock, Postpunk oder Dark Wave ist der Balkan nicht die erste Assoziation, die einem einfällt, wenn es um alternative Musik geht, »Balkan Beats« mal ausgenommen. Westeuropa erschafft, Südosteuropa kopiert - dieser Glaube ist immer noch vorherrschend, doch das ist Quatsch.

Wenn es im ehemaligen Jugoslawien an etwas nicht mangelte, war es Musik! Die 70er und 80er Jahre waren eine Blütezeit der Pop- und Rock-Szenen. Vim Cola, Sängerin der kroatischen Post-Punk-Band Paraf erinnert sich: »Die 80er waren Jahre kreativer Expansion! Die städtische Szene explodierte einfach in der grauen Umgebung des sterbenden Sozialismus.« Reisefreiheit, große urbane Zentren und - verglichen mit anderen staatssozialistischen Ländern - wenig Repression, begünstigten den kreativen Aufbruch. Und so lebte der »YU Wave«: Post-Punk und Goth in Jugoslawien und dann in den Nachfolgestaaten. Während Rock-Größen wie Bijelo Dugme, Azra oder Zabranjeno Pušenje selbst einigen Deutschen ohne Migrationshintergrund bekannt sind, bleibt die düstere Seite des Punk-Spektrums jedoch überwiegend in der Nische.

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Goth-Rock wurde besonders in Mazedonien kultiviert, angeführt von der Padot Na Vizantija, die als jugoslawische Bauhaus gelten. Gegründet 1983 von Goran Trajkoski, wurde die Band nach einigen Touren bereits 1985 wieder aufgelöst. Oberflächlich gehört, wird man bei ihnen alle vertrauten Elemente einflussreicher englischer Bands wie Joy Division oder Bauhaus wiederfinden. Aber wenn man sich näher mit Padot Na Vizantija beschäftigt, wird man erkennen, was sie sowohl von alten westeuropäischen wie auch heutigen ex-jugoslawischen Bands unterscheidet: Sie verwenden Elemente aus der byzantinischen Musik wie Choralgesänge und christlich-orthodoxe Motive. Sie sangen auch nicht auf Serbokroatisch, sondern auf Mazedonisch. Das ist ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Unterschied: Andere Bands orientieren sich an westlicher Musik, zeitlosen Themen und affirmieren, wenn überhaupt, jugoslawische Identität. Padot Na Vizantija hingegen schöpfen aus der mazedonischen Geschichte, Kultur und Folklore und wenden sich religiösen Themen zu.

Zusammen mit Bands wie Anastasia, KISMET und Arhangel traten sie die musikalische Bewegung Makedonska Streljba los, die für mazedonisches Selbstbewusstsein stand. Eine ähnliche Strömung gab es auch in Slowenien mit der »Neuen Slowenischen Kunst« von Laibach. Und dann gibt es noch eine weitere wichtige Band des mazedonischen Goth-Rock: Mizar aus Skopje, 1981 von Gorazd Čapovski gegründet. Auch sie schöpfen aus der mazedonischen und byzantinischen Geschichte. Einige Stücke sind sogar auf Altkirchenslawisch, zum Beispiel »Svjat Dreams«, eine folklastige Coverversion des Klassikers »Sweet Dreams« von den Eurythmics. Makedonska Streljba wurde oft für die rückwärts gewandten und nationalistischen Implikationen kritisiert, ist aber ästhetisch die wichtigste musikalische New-Wave-Bewegung Mazedoniens, deren Einfluss weit über die 80er Jahre hinaus reicht.

In vielen großen Städten Jugoslawiens entstanden Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre regionale Punk- und New-Wave-Szenen. In Zagreb gründeten sich Pingvinovo Potpalublje, eine der ältesten Post-Punk-Bands der Region, die bis 1984 aktiv waren. Ihr Stil ist innerlich und verträumt, gelegentlich kommen Trompete und Saxofon zum Einsatz. In diese Richtung wirkt auch Varja Orlić, die man auch den »weiblichen Ian Curtis« nannte, sie sang bei Karlowy Vary zu sphärischen Synthie-Sounds und psychedelischen Gitarrenklängen. Doch die mit Abstand wichtigste Goth-Band aus Zagreb ist Phantasmagoria, benannt nach dem legendären Album von The Damned, das 1985 erschienen war. Damals gab es in Zagreb eine »Satanic Panic«, einen »Dark-Hype«, wie sich Tomi E. Šega, Sänger von Phantasmagoria, erinnert: »In fast allen Clubs gab es so viele Gruppen von schwarz gekleideten Teenagern, dass bei den Eltern Panik ausbrach, sie bekamen Angst vor satanistischen Vereinigungen.«

Phantasmagoria entsprechen allem, was man sich unter klassischem Goth-Rock im Stil von The Sisters of Mercy oder Fields of The Nephilim vorstellt: tiefe Vocals, prominente Basslines, verzerrte Gitarren und hämmernde Rhythmen. Obendrauf ein Pentagramm als Bandlogo, das Vertreter der katholischen Kirche ohne Mühe für ihre Moralpanik instrumentalisieren konnten: »Wir wurden in den Medien als Satanisten beschimpft, und unsere Plakate wurden wegen des Pentagramms abgerissen«, erzählt Tomi. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass Phantasmagoria ihren Kultstatus insbesondere ihrer schlechten Presse zu verdanken haben. Sie sind bis heute aktiv und tourten 2019 mit She Past Away und Christian Death.

Auch die Hafenstadt Rijeka ist für ihre Post-Punk-Szene berühmt und berüchtigt. Von hier stammen Bands wie Grč und KAOS, doch ihr wichtigster Vertreter ist die 1976 gegründete Band Paraf. In ihrer Anfangszeit orientierten sich Paraf am klassischen Punkrock und schrieben mit ihrer sarkastischen Lobeshymne auf die Polizei jugoslawische Punkgeschichte. Später orientierten sie sich Bands wie Gang of Four und Wire und schlugen mit der neuen Sängerin Vim Cola eine neue Richtung ein: Ihr Sound wurde zunehmend experimenteller und synth-lastiger. Das ist gut zu hören in Songs wie »Javna Kupatila« (»Öffentliche Toiletten«) oder »Tužne Uši« (»traurige Ohren«).

Auch Ekatarina Velika (EKV) aus Belgrad haben mehrfach die Grenzen der Genres durchbrochen, gegründet 1982 sind sie eine der bekanntesten ex-jugoslawischen New-Wave-Bands überhaupt. Sie sind so goth wie etwa The Cure goth sind: Formal ja, aber nicht puristisch, eben Pop von zeitloser Schönheit, was sich auch in ihren Texten ausdrückt, etwa wenn sie singen: »Du hast meinen Weltschmerz geliebt.« Dobri Isak aus Niš dagegen nannten ihr einziges jemals erschienenes Album »Mi plačemo iza tamnih naočara« (»Wir weinen hinter dunklen Brillen«). Mit seinen unnahbaren Vocals, rituell anmutenden Rhythmen und hypnotischen Bassläufen geht es unter die Haut - ein Klassiker.

Warum ist jugoslawischer und ex-jugoslawischer Goth immer noch oder wieder relevant? Weil Goth sich weltweit wieder im Aufbruch befindet. Zwar wird dieser Subkultur immer noch Eskapismus, politisches Desinteresse und Stagnation vorgeworfen, aber inhaltlich tut sich etwas. International bekannte Szene-Podcasts wie »Cemetery Confessions« oder Künstler*innen-Seiten wie »Art by Andi« regen immer häufiger zum Dialog über Rassismus oder LGBTIQ-Rechte an. Auch musikalisch erlebt die Subkultur seit einigen Jahren eine Renaissance. Bands wie She Past Away, Lebanon Hanover oder Whispering Sons haben der Szene weltweit neues Leben eingehaucht und klassischen Goth-Rock und Dark Wave in eine neue Form gebracht.

Auch Sixth June aus Belgrad sind eine von diesen Revival-Bands. Gegründet wurde sie 2007 von Laslo Antal und der Sängerin Lidija Andonov. Später nahmen sie in Berlin ihr Debütalbum »Everytime« auf. Synth-Klanglandschaften, Saxofon-Passagen und Andonovs sanfte Stimme zeichnen ihren Stil aus. Auf der anderen Seite des Goth-Spektrums befinden sich die 2016 gegründeten, deutsch-kroatischen Kadeadkas - mit energiegeladenem Post-Punk und Lyrics über »Diktaturen, Selbstzerstörung und persönliche Alpträume, generiert durch eine kalte, kapitalistisch-dekadente Gesellschaft, die in ihren letzten Atemzügen liegt«, wie man auf ihrer Bandcamp-Seite lesen kann.

Einige Bands aus den 80ern wie Psihokratija sind ebenfalls dem Zeitgeist gefolgt. Früher machten sich die Belgrader mit ihrem minimalistischen, neoklassischen Dark Wave einen Namen. 29 Jahre später klingen sie auf dem Album »Eight Wanderings Of The Soul« so zeitgenössisch, wie Dark Wave 2020 nur klingen kann.

Nicht zuletzt überraschten Paraf im letzten Jahr mit einem neuen Song »Bez Lica« (»Ohne Gesicht«). In Zeiten politischer und sozialer Umbrüche wollen sie »Mut machen, den Kopf zu heben und die Wahrheit zu sagen,« erklärt Bassist Zdravko Čabrijan die Botschaft des Stücks. Weiteres Material warte noch darauf, bearbeitet und veröffentlicht zu werden - denn es sei längst nicht alles gesagt. Und das gilt auch für Goth.

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