Konzernchef vor Gericht

Mammutstrafprozess im Audi-Abgasskandal beginnt am Mittwoch

Deutsche Ingenieurskunst hatte im Ausland lange Zeit einen sehr guten Ruf. Doch spätestens mit dem Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen hat dieser stark gelitten. Denn statt mit Innovationen die in der EU und den USA verschärften Bestimmungen bei gesundheits- und umweltschädlichen Emissionen einzuhalten, entwickelten Ingenieure Softwareprogramme, die den Stickoxidaus-stoß nur dann drosseln, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht.

Ein am Mittwoch beginnender Strafprozess in München soll Licht ins Dunkel bringen, wer bei Audi wann was von den Betrügereien wusste. Angeklagt sind der Ex-Vorstandschef der oberbayerischen VW-Tochter, Rupert Stadler, der damalige Leiter der Motoren- und Antriebsentwicklung, Wolfgang Hatz, sowie zwei Ingenieure. Es ist ein Mammutprozess: Gut 40 000 Seiten umfassen die Ermittlungsakten. Allein die Verlesung der Anklage zum Auftakt wird fünf bis sechs Stunden dauern. Zweimal die Woche soll verhandelt werden, die Urteilsverkündung ist auf Dezember 2022 taxiert. Die Anklage lautet auf »Betrug, mittelbare Falschbeurkundung sowie strafbare Werbung« - Haftstrafen bis zu zehn Jahre sind möglich.

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Die Staatsanwälte haben akribisch ermittelt. Der Vorgang selbst gilt praktisch als aufgeklärt: Ab 2007 wurde die Betrugssoftware in große Drei-Liter-Dieselmotoren eingebaut. 434 000 Fahrzeuge von Audi, Porsche und VW sollen betroffen sein. Der Grund war geradezu banal: Technisch wäre Audi vermutlich in der Lage gewesen, Autos zu bauen, die die gesetzlichen Emissionsvorgaben eingehalten hätten, doch man wollte mit der Abschalteinrichtung einen Vorteil erzielen: Anders als bei Lkw musste nur ein kleiner Zusatztank für AdBlue, das die Stickoxide neutralisiert, eingebaut werden. Autofahrer mussten das streng riechende Harnstoffgemisch nicht ständig selbst einfüllen; stattdessen konnte dies bei den üblichen Wartungsterminen in der Werkstatt miterledigt werden. Offenbar befürchtete Audi ansonsten einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz. Die beiden angeklagten Ingenieure Giovanni P. und Henning L. haben dies weitgehend gestanden.

Die interessante Frage ist die der Verantwortung. Der Verteidiger von Giovanni P. sagte, sein Mandant sei kein Entscheidungsträger gewesen, sondern drei Ebenen unter dem Vorstand. »Er hat getan, was von oben abgesegnet und angewiesen wurde.« Offenbar gab es die Forderung von Vertrieb und Vorstand, einen kleinen AdBlue-Tank einzubauen, doch wusste man oben von dem Betrug oder forderte ihn sogar? Ex-Abteilungsleiter Hatz, der im vergangenen Jahr monatelang in Stadelheim in Untersuchungshaft saß, verneint dies bis heute. Gleiches gilt für den seit 2007 amtierenden Audi-Chef Stadler, der aber von mehreren Zeugen belastet wird. Die Vorwürfe gegen den 57-jährigen Manager sind indes weniger schwer. Die Anklage wirft dem Landwirtssohn aus Oberbayern vor, er habe spätestens nach der Aufdeckung des Abgasskandals in den USA im September 2015 von den manipulierten Motoren gewusst, aber den Verkauf nicht gestoppt.

Die Ermittlungen in Deutschland kamen indes erst mit jahrelanger Verzögerung 2018 so richtig ins Rollen. Bei einer Razzia bei Porsche wurden Unterlagen gefunden, aus denen hervorgehen soll, dass Stadler eine Präsentation manipuliert haben soll, um 2015 die US-Umweltbehörde EPA bei ihren Ermittlungen in die Irre zu führen. Wegen Verdunkelungsgefahr wurde auch er vorübergehend in U-Haft genommen. Ihm wurde dann fristlos gekündigt.

Noch später dran ist übrigens das Verfahren gegen die Konzernmutter VW in Niedersachsen: Erst vor wenigen Tagen hat das Landgericht Braunschweig die Anklage gegen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs zugelassen. Der Abgasskandal im Gesamtkonzern betrifft mindestens 2,3 Millionen Fahrzeuge. Das Münchner Verfahren könnte wiederum Aufschluss darüber geben, ob der VW-Betrug bei Audi seinen Anfang nahm - übrigens zu einer Zeit, als Winterkorn noch der Chef der bayerischen Tochter war.

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