Jobcenter hat gegen EU-Recht verstoßen

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zeigt, dass die Verwehrung von Sozialhilfe nicht immer einfach möglich ist

Entgegen einer Entscheidung des Jobcenters Krefeld haben EU-Bürger*innen auf Arbeitssuche in Deutschland das Recht auf den Bezug von Sozialleistungen - zumindest dann, wenn ihre Kinder hier die Schule besuchen. Dies hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag in Luxemburg entschieden.

Zu dem Urteil kam es, weil ein polnischer Staatsangehöriger gegen die Entscheidung des Jobcenters geklagt hatte. Der Mann, der im Urteil des Gerichtshofes «JD» genannt wird, wohnt seit 2013 in Deutschland. Nachdem er mehrere Male als Angestellter gearbeitet hatte, wurde er arbeitslos und bezog deshalb von September 2016 bis Juni 2017 Hartz IV. Zudem bekam er Sozialgeld für seine Kinder, die in Deutschland zur Schule gehen. Zwar ist JD seit Anfang 2018 wieder vollzeitbeschäftigt, bis Dienstag war allerdings noch strittig, ob ihm während seiner Erwerbslosigkeit länger Sozialhilfe zugestanden hätte. JD beantragte damals nämlich beim Jobcenter Krefeld eine Weiterbewilligung der Sozialleistungen bis Dezember 2017, die ihm das Jobcenter jedoch verwehrte. Er habe keinen «Arbeitnehmerstatus» mehr gehabt, sondern sei arbeitssuchend gewesen, lautete die Begründung.

Das Jobcenter bescheinigte ihm sozusagen, dass er kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr habe. Dagegen klagte er und bekam in erster Instanz Recht. Das Jobcenter Krefeld legte daraufhin Berufung beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen ein. Schließlich landete die Klage beim Europäischen Gerichtshof. Dessen Urteil ist eindeutig: Das Jobcenter hat mit der Verweigerung der Sozialleistungen gegen EU-Recht verstoßen. JD hatte, so der Richterspruch, trotz Jobverlustes aufgrund des Schulbesuches seiner Kinder ein Aufenthaltsrecht in Deutschland. Daraus wiederum ergebe sich bei Sozialleistungen ein Recht auf Gleichbehandlung mit deutschen Staatsbürger*innen. Es könne schließlich nicht sein, dass Kinder von EU-Bürger*innen wegen des Jobverlustes ihrer Eltern auch ihren Schulbesuch unterbrechen müssen, um in das Herkunftsland zurückzuziehen. Zwar gibt es nach EU-Recht auch Ausnahmeregelungen von dem «Grundsatz der Gleichbehandlung im Bereich der Sozialhilfe», aber die Ausnahmen sind laut EU-Recht nur in ganz bestimmten Fällen erlaubt. In dem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass «diese Ausnahme »eng auszulegen« sei. Im Fall von JD verstößt sei die »Ungleichbehandlung gegenüber Inländern« durch das Jobcenter Krefeld ein Verstoß gegen diese EU-Verordnung. Die Verwehrung der Sozialleistungen für JD und seine Kinder war offiziell diskriminierend.

Immer wieder wird in Deutschland versucht, die Sozialleistungen für EU-Bürger*innen zu begrenzen. Das gilt auch für die geplanten Änderungen des Freizügigkeitsgesetzes, die derzeit im Bundestag behandelt werden. In dem Gesetz ist das Recht der Unionsbürger*innen festgeschrieben, in Mitgliedstaaten der Europäischen Union einzureisen und sich als Arbeitnehmer*innen, Selbstständige oder Arbeitssuchende aufzuhalten. Im Änderungsentwurf sollen unter anderem in manchen Fällen Sozialleistungen für EU-Bürger*innen ausgeschlossen werden. Bei einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages stellte der Rechtswissenschaftler Daniel Thym von der Universität Konstanz fest, dass es juristische Probleme gibt, »wenn die großzügigen EU-Freizügigkeitsregeln sich von den strengeren Vorgaben unterscheiden«, die es etwa im deutschen Aufenthaltsgesetz gebe. Es gebe zudem eine sozialrechtliche Diskussion, ob Unionsbürger, die zur Arbeitsuche eingereist sind, aber keine Arbeit finden, von Sozialleistungen ausgeschlossen werden dürfen.

Im Fall von JD muss die deutsche Justiz jetzt das Urteil des Europäischen Gerichtshofs umsetzen. Und in vergleichbaren Fällen müssen Jobcenter Sozialleistungen bewilligen. Eine Diskriminierung ist in diesen Fällen nicht mehr möglich.

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