Diktatur - Demokratur - Demokratie?

Martin Ling über das Plebiszit in Chile als ersten, wichtigen Schritt

Es ist eine klare Absage an die Verfassung aus der Diktatur und an das Politestablishment. Mit jeweils fast 80 Prozent stimmten die Chilenen für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und für eine komplett zu wählende verfassunggebende Versammlung. Das zeigt das tiefe Misstrauen gegen die etablierte Politik, denn die rechte Regierung von Sebastián Piñera hatte vor, die Hälfte des Gremiums mit Parlamentariern zu besetzen.

Die neue Verfassung soll an die Stelle jener von 1980 treten, mit der General Augusto Pinochet sieben Jahre nach dem Putsch gegen Salvador Allende das neoliberale System in Chile für alle Zeiten festschreiben wollte. 40 Jahre hat das funktioniert, 30 Jahre davon in der Demokratur, die 1990 auf die Diktatur folgte.

Mit dem Plebiszit ist ein Anfang für die Überwindung der Strukturen aus der Pinochet-Diktatur gemacht, überwunden sind sie dadurch noch nicht. Die Forderungen der Protestbewegung, die sich am 18. Oktober 2019 an einer Fahrpreiserhöhung bei der U-Bahn entzündete, liegen auf dem Tisch: Schluss mit dem privaten Rentensystem, freie Bildung und Gesundheit. Kurzum: ein Leben in Würde für alle.

Die noch zu wählenden Mitglieder der verfassunggebenden Versammlung haben einen klaren Auftrag: Die Grundrechte der Menschen müssen über das Eigentumsrecht gestellt werden. Nur wenn sie das schaffen und in der neuen Verfassung verankern, war das Plebiszit mehr als ein Ablenkungsmanöver der Piñera-Regierung. Denn Piñeras Kalkül ist offensichtlich: mit einem Verfassungsprozess die vor allem von jungen Chilenen getragene Protestbewegung zu schwächen, ohne substanzielle Reformen folgen zu lassen. Damit darf Chiles Rechte nicht durchkommen. 50 Jahre nach der Regierungsübernahme von Allende wäre das ein Ausrufezeichen.

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