Greenpeace gegen Norwegen

Klimaschützer klagen gegen neue Erkundungen von Öl und Gas in der Arktis

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.

Norwegen ist ein Land mit großartiger Natur. Auch war es der erste Staat, der die Pariser Klimakonvention ratifizierte. Norwegen ist aber auch ein Land, dessen Wirtschaft stark abhängig ist von der Öl- und Gasförderung in der Nordsee, entlang der langgestreckten Küste und in den arktischen Gewässern. Der Wohlstand des Landes, das noch in den 1960er Jahren einen wesentlich niedrigeren Lebensstandard hatte als die westeuropäischen Länder, beruht zu einem wesentlichen Teil auf dem Verkauf von fossilen Energieträgern, die wesentlich zur Klimaerwärmung beitragen.

Gleichzeitig sichert die Verfassung des Landes seinen Bürgern seit 1990 mit dem Paragrafen 112 zu, in einer Natur zu leben, die die ihre Gesundheit sichert. Sie soll mannigfaltig bleiben und den folgenden Generationen im gleichen Zustand weitergegeben werden, in der sie jetzt ist. Mit der Verfassungsänderung von 2014 wurde zudem der Zusatz eingefügt, dass die staatlichen Behörden Maßnahmen ergreifen müssen, um dieses Grundrecht zu sichern.

Norwegische Umweltorganisationen haben deshalb eine Klage gegen Ölbohrungen in der Arktis eingereicht. Das Oberste Gericht Norwegens wird sich am Mittwoch damit befassen. Insgesamt sind sieben Anhörungstage angesetzt. Greenpeace Norwegen sowie der Bund Jugend und Natur, unterstützt von anderen Umweltorganisationen, kämpfen schon seit Jahren auch juristisch dafür, dass die Öl- und Gasförderung in Norwegens arktischer Wirtschaftszone gestoppt wird. Experten vermuten zwischen Spitzbergen und der norwegischen Küste Vorkommen, die das fossile Zeitalter des Landes um Jahrzehnte verlängern könnten. Norwegen würde in eine strategisch und ökonomisch günstige Lage kommen, falls die EU-Staaten sich entscheiden, die Abhängigkeit von russischen Lieferungen drastisch zu reduzieren. Doch Suche, Erschließung und Aufbau der Infrastruktur sowie Start der Förderung machen langfristige Absatzsicherheit und Profitmöglichkeiten notwendig. Die niedrigen Preise der vergangenen Jahre haben die Erkundungsaktivitäten bereits sinken lassen und juristische Unsicherheiten oder Begrenzungen würden die Investitionslust weiter dämpfen.

Die Umweltorganisationen haben vor Gericht bereits Teilsiege errungen. Das Osloer Bezirksgericht und das Berufungsgericht urteilten 2017 und 2019, dass der Rechtsanspruch auf Nachhaltigkeit besteht. Jedoch urteilten die Richter entgegen der Forderung der Klimaschützer, dass die CO2-Emissionen von exportiertem Öl und Gas nicht in die norwegische Klimarechnung mit eingehen sollen. Der Erteilung von neuen Konzessionen zur Förderung in nördlichen Gewässern stünde somit nichts im Wege.

Nun argumentieren die Umweltorganisationen in ihrer im Juni vorm Obersten Gericht eingereichten Klage, dass die Handlungen der Regierung nicht die Ursache für die Klimakatastrophe künftiger Generationen sein dürfen. Der Klage wurde stattgegeben, da der Fall als prinzipiell gerechtfertigt angesehen wird. Der Paragraf 112 wurde bisher jedoch noch nicht juristisch geprüft. Die Entscheidung des Obersten Gerichts wird daher richtungsweisend sein. Um dem Rechnung zu tragen, wurde entschieden, dass Beweisaufnahme und Prozessierung im Plenum, also im Beisein aller Richter des Obersten Gerichtes, vorgenommen werden müssen. Dieses Herangehen fassen Beobachter als einen Etappensieg der Umweltschützer auf.

Regierung und Ölkonzerne sind gegenwärtig jedoch nicht bereit, das Ende des Prozesses abzuwarten. Sie versuchen stattdessen, Fakten zu schaffen. So fasste das norwegische Parlament im Juni 2020 den Beschluss, die Erkundung nach Öl und Gas in der Barentssee zuzulassen. Zudem soll binnen vier Jahren geprüft werden, ob die heute geltende Grenze zur Erkundung nach Norden verschoben werden kann. Die Voraussetzung dazu wurde im Jahr 2010 durch eine Einigung mit Russland zur Grenzziehung im lange umstrittenen Gebiet der Barentssee geschaffen.

So will Norwegen die sogenannte Eiskante an die Klimaänderung und das abschmelzende Meereseis anpassen. Diese gibt die Grenze zwischen dem ewigen Eis und dem offenen Meer an. Als wissenschaftliche Grundlage wird dafür die 15-Prozent-Grenze angewendet. Sie besagt, dass im April eines Jahres, dem Monat mit der größten Eisausdehnung, nicht mehr als 15 Prozent der Wasseroberfläche in einem Meeresgebiet von Eis bedeckt sein darf. Erwartet, und von der Förderindustrie erhofft wird, dass dadurch große Teile der nördlichsten norwegischen Wirtschaftszone für die Erkundung und Förderung geöffnet werden.

In der Barentssee werden Öl- und Gasfelder vermutet, die von beiden Seiten der Grenze angebohrt werden können. Norwegen hat noch einen technologischen Vorsprung, der eine schnellere Erkundung und Erschließung als Russland ermöglichen würde. Er wäre aber nutzlos für Norwegen bei einem juristisch verhängten Förderstopp in der Arktis. Es geht also um viel, wenn die Richter abwägen müssen, wo die Grenzen der Nachhaltigkeit und des Wohles für Klima und heutige wie künftige Generationen liegen.

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