Bricht das Bollwerk?

Bleibt die CDU-Fraktion Sachsen-Anhalt bei ihrem »Nein« zur Erhöhung des Rundfunkbeitrages, könnte die Regierungskoalition mit SPD und Grünen zerbrechen

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Cornelia Lüddemann hatte es sich in ihrem Wohnzimmer gemütlich gemacht – doch nach vorweihnachtlicher Behaglichkeit war der Grünen-Landtagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt, die auch Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im kommenden Jahr ist, nicht zumute. Vielmehr wirkte sie verzweifelt. Senkte den Blick, zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf. »Wenn dieses Bollwerk gegen rechts fällt«, sagte die Fraktionsvorsitzende und machte eine kurze Pause, »dann ist für mich auch die Geschäftsgrundlage dieser Koalition weg. Das tut mir in der Seele weh.«

Im Rahmen eines grünen Landesparteitages meldete sich Lüddemann am Freitagabend per Video aus ihrem Zuhause. Wegen der Corona-Pandemie fand der Parteitag rein digital statt, aber die Grünen werden wohl dankbar sein, dass er überhaupt stattfand. Denn die Lage ist ernst. Die Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt mit CDU und SPD, die Befürworter gern als »Bollwerk gegen rechts« bezeichnen – angesichts einer starken AfD, die bei der letzten Landtagswahl satte 23,4 Prozent holte –, steht so sehr auf dem Spiel wie nie zuvor. Und nicht nur Lüddemann, auch andere Redner meldeten erhebliche Zweifel an, ob das ohnehin seit Beginn auf wackligen Füßen stehende Bündnis weiter Bestand haben könne.

Nachdem die CDU-Fraktion angekündigt hatte, bei der Landtagssitzung am 15. Dezember gegen den neuen Rundfunkstaatsvertrag und die damit verbundene Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent stimmen zu wollen, ist nicht nur die politische Landschaft in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland ins Wanken geraten. Denn auch die AfD will wenig überraschend gegen die Erhöhung stimmen. Sollten die Konservativen bei einem »Nein« bleiben, würde sie damit zum wiederholten Mal gemeinsame Sache mit den Rechtsradikalen machen. Dies käme aus Sicht vieler Beobachter einem »Dammbruch« gleich, wie er Anfang des Jahres in Thüringen zu beobachten war, als AfD und CDU den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum kurzzeitigen Ministerpräsidenten wählten.

Noch vermeiden die Koalitionspartner SPD und Grüne eine klare öffentliche Positionierung, was sie im Falle eines »Nein« der CDU konkret tun werden. Und doch wird immer klarer: Die Koalition könnte tatsächlich zerbrechen.

So blickte man auf dem Grünen-Parteitag in zwar kämpfende, aber doch irgendwie ratlose Gesichter. »Das werden wir nicht mitmachen können, weil das gegen jede Grundüberzeugung von uns geht«, sagte Claudia Dalbert, einzige Grünen-Ministerin im Kabinett. Zwar kündigte sie an, bis zum letzten Tag darum ringen zu wollen, dass die Koalition weiter Bestand hat. Doch das, so Dalbert, »wird nur passieren, wenn sich die CDU auf ihre Verantwortung besinnt«. Co-Landeschef Sebastian Striegel versinnbildlichte: »Die CDU legt mit der AfD die Axt an die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und das wäre auch eine Axt am Fundament von 'Kenia'.«

Auch die SPD hatte zuletzt den Druck auf die CDU erhöht. »Wir gehen davon aus, dass Haseloff ein hohes Interesse hat, die Koalition am Leben zu erhalten. Dann muss er jetzt den Schlamassel aufräumen und dafür sorgen, dass der Regierungsentwurf eine Mehrheit bekommt«, wird Co-Landeschef Andreas Schmidt in einer Pressemitteilung zitiert. Zugleich schlagen die Sozialdemokraten vor, zusammen mit dem Zustimmungsgesetz einen Entschließungsantrag mit medienpolitischen Zielen – beispielsweise den Verzicht auf überzogene Intendantengehälter und eine stärkere Berücksichtigung Ostdeutschlands – zu verabschieden.

Einen solchen Entschließungsantrag formulierte am Freitag die Linksfraktion und wandte sich in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten. Darin heißt es: »Wir fordern Sie auf, die von Ihnen postulierte Brandmauer gegen Rechts zu halten!« Zudem würde ein Scheitern des Rundfunkstaatsvertrages aus Sicht der Linken vor allem Sachsen-Anhalt schaden, da der MDR als mitteldeutscher Regionalsender über besonders schlanke Strukturen verfüge.

Ob die CDU einen solchen Kompromiss mitträgt, ist ungewiss. Die Konservativen glauben offenbar, mit einem »Nein« zum Rundfunkbeitrag die Seele des Volkes anzusprechen. Laut einer ARD-Umfrage halten aber nur 19 Prozent der Sachsen-Anhalter den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für verzichtbar, eine große Mehrheit spricht sich klar dafür aus. Ebenso haben mehrere Interessengemeinschaften und Verbände ihre Unterstützung für den Rundfunk kundgetan, etwa der Deutsche Bauernbund und der Blinden- und Sehbehindertenverband.

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