Nur die Musik

Robert Seethaler erzählt von den letzten Tagen Gustav Mahlers

  • Monika Melchert
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Fieber hat ihn gepackt und lässt ihn nicht mehr los. Gustav Mahler, der berühmte Komponist und Dirigent, ist auf seiner letzten Überfahrt von New York nach Europa, zurück nach Wien, im Frühjahr 1911. Die Kälte schüttelt ihn durch, obgleich ihn der Schiffsjunge auf dem Sonnendeck fest in Decken eingepackt hat. Während sein Blick auf dem Meer ruht, reflektiert er sein Leben, die sensationellen Erfolge, aber ebenso die Verluste und persönlichen Niederlagen. Behutsam erzählt der österreichische Autor Robert Seethaler von dieser ambivalenten Bilanz eines begnadeten Musikers. Es ist ein leiser, feinsinniger Roman, der ein ganzes Leben in den Blick nimmt.

An der Metropolitan Opera hat Mahler sein letztes Konzert dirigiert. Nun will er nur nach Hause. Er ist erst 50 Jahre alt, aber sein krankes Herz raubt ihm alle Kraft. An die Reling des Schiffes geklammert, sieht er den großen weißen Vogel dort sitzen. Ihm begegnet er immer dann, wenn etwas unwiderruflich zu Ende geht. Auf der »Amerika« reisen auch seine Frau Alma und die Tochter Anna mit, doch zwischen ihnen ist das Band gerissen. In der Liebe zur schönen Alma glaubte er das Glück seines Lebens zu finden - bis er erkennen muss, dass er der viel Jüngeren nicht das geben konnte, was sie sich ersehnt. Seine größte Leidenschaft gehört doch immer der Musik. Seit 1897 war er für zehn Jahre Erster Kapellmeister und Direktor der Wiener Hofoper, eine triumphale Zeit, in der er für die Reformierung der Oper Bedeutendes leisten kann. Doch hinterhältige Angriffe wegen seiner jüdischen Herkunft verleiden ihm schließlich die Stellung. Da kommt der Ruf nach New York gerade recht. Gustav Mahler will vor allem eines: komponieren.

Die Sinfonien und zahlreichen Lieder entstehen jeweils in den Sommermonaten. Erst am Attersee, später am Wörthersee lässt er sich ein Komponierhäuschen bauen, wo er völlig ungestört seine Musik leben kann. Doch als 1907 dort seine erst vier Jahre alte Lieblingstochter Maria stirbt, zerbricht ein Teil seiner Lebenswelt. Zur Ruhe kommt er nur noch in Toblach in Südtirol, dessen Bergwelt bildet die richtige Kulisse für sein Werk.

Seethalers kleiner Roman führt mitten in die Konflikte und Widersprüche dieses sensiblen Musikers. Natürlich kommt nicht das gesamte Wiener Musikleben ins Bild. Der Autor konzentriert die Handlung und zeigt Mahler in seiner letzten Phase als schwachen, angegriffenen Menschen, der uns gerade dadurch nahe kommt. Die großen Erfolge, die Gewissheiten liegen hinter ihm. Der überwältigende Triumph seiner Achten vor einem Jahr in München war zugleich ein Endpunkt. In die tiefste Krise hatte ihn das Liebesverhältnis Almas mit dem jungen Architekten Walter Gropius gestürzt, den sie nach Mahlers Tod heiraten wird. An den imaginären weißen Vogel, der bedrohlich neben ihm hockt, richtet er die Worte: »Verschwinde, ich weiß, wer du bist.« Mahler spürt den Tod in seiner Nähe. Noch stemmt er sich gegen dessen Macht, doch er fühlt seine Kräfte geringer werden.

Nach der Ankunft in Europa bleiben ihm nur noch wenige Wochen. Einige Monate nach der Reise findet er Schiffsjunge ein Foto seines Schutzbefohlenen in einer alten Ausgabe des »Brooklyn Citizen«, und da er kein Englisch kann, lässt er sich die Nachricht vom Tod des berühmten Mannes vorlesen. Dessen Musik hätte er gern einmal gehört, sicherlich ist sie ganz anders als alles, was er aus den Hafenkneipen kennt. Aber dass man auf der ganzen Welt das Werk Gustav Mahlers lieben und schätzen würde, war dem Jungen nicht vorstellbar.

Robert Seethaler: Der letzte Satz. Hanser, 126 S., geb., 19 € .

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal