Männer interessierten wenig

Die Zeitschrift »Schwarze Botin« und der westdeutsche Feminismus der 1970er Jahre

  • Theodora Becker
  • Lesedauer: 6 Min.

Mit dem Feminismus ist es heute eine komische Sache: Die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter ist nicht nur allgemein ziemlich akzeptiert, sondern auch weitgehend verwirklicht - von der Schleifung höchster Männlichkeitsbastionen wie Heer und Kanzleramt durch Frauen (die katholische Kirche wird auch noch fallen) bis zum Fortschritt der Reproduktionstechnologien, der verspricht Frauen von ihrem biologischen Schicksal zu befreien.

In den herrschenden Institutionen der Gesellschaft - Staat, Wirtschaft, Presse - gehört der Feminismus zum guten Ton, und Frauenförderung, »Diversity Management« und inzwischen auch geschlechtergerechte Sprache sind zunehmend selbstverständlich. Und doch kann von einer Befreiung der Frauen oder der Verwirklichung weiblichen Glücks keine Rede sein (solche Utopien klingeln heute wohl albern, und kaum eine würde noch an sie glauben). Die autonome Frauenbewegung gibt es nicht mehr, sie hat wie die APO, die Alternativen und die Grünen den Gang durch die Institutionen erfolgreich absolviert und sich darin aufgelöst. Der Feminismus hat sich diversifiziert und professionalisiert. Es geht um Frauen nur noch unter anderem, nämlich unter einer sich stetig vermehrenden Menge von Identitäten, deren Gemeinsamkeit darin besteht, nicht weiß, hetero und männlich zu sein.

Was sich dann heute Feminismus nennt, funktioniert wie PR-Kampagnen: »Netzfeministinnen« arbeiten wie Parteien und Thinktanks mit Hashtags und Medienkampagnen, um Reklame für angesagte Denk-, Sprach- und Verhaltensschemata zu machen. Um Gesellschaftsveränderung geht es allenfalls im kosmetischen Bereich; hauptsächlich interessiert die Verteilung des Kuchens, also wie viele Frauen in welchen Positionen sitzen und wie viel Geld, Macht und Status sie dadurch abbekommen. Und ob diejenigen, die leider nicht so weit kommen können (war da noch was?), wenigstens sprachlich »sichtbar gemacht« werden - das ist in etwa ein Äquivalent zum Applaus für die Krankenpfleger.

Aber ging es der Frauenbewegung wirklich nur darum, an der Macht teilzuhaben, Arbeit und Hausarbeit gleichberechtigt zwischen Mann und Frau aufzuteilen und moralische Maßregeln aufzustellen? Das Gedächtnis etwas aufzufrischen, hilft ein soeben im Wallstein-Verlag erschienener Band, der Beiträge aus der 1976 bis 1980 in Westberlin hergestellten Frauenzeitung »Die Schwarze Botin« versammelt. Eine ausführliche Einleitung des Herausgebers Vojin Saša Vukadinović erzählt die Geschichte der Zeitschrift und ordnet sie in den Kontext der damaligen Frauenbewegung ein. Die »Schwarze Botin« - das Titelblatt trug einen schwarzen Rand wie eine Todesanzeige und zu Anfang das martialische Lesbensymbol der Doppelaxt - war schon damals dissident, ihre Auflage überschaubar, einen professionellen Vertrieb hatte sie nicht. Und doch gelang es ihr, für einige Aufmerksamkeit zu sorgen.

Die Zeitschrift entstand fast zeitgleich mit den großen Publikationsorganen der westdeutschen Frauenbewegung, der auf ein weibliches Massenpublikum zielenden »EMMA« und der kleineren, linkeren und kurzlebigeren »Courage«. Beide bekamen schon in den ersten Nummern der »Schwarzen Botin« ihr Fett weg: Die Zeitschrift der Chef-Feministin dafür, dass diese mit ihrer »natürlichen Begabung zur Geschmeidigkeit« Belanglosigkeiten für ihre journalistische Karriere kommerzialisiere, die »Courage« für »geistige Schonkost«, Mütterkitsch und die Verlängerung »weiblicher Begriffslosigkeit vor der gesellschaftlichen Realität«. Das proklamierte Ziel von Gabriele Goettle, der Erfinderin der »Schwarzen Botin«, und ihrer Mitherausgeberin und Geliebten Brigitte Classen war es, Tendenzen der Frauenbewegung zu moralischer Selbstgerechtigkeit, pädagogisierendem Mittelmaß, gefühligem Frauenidentitätsgeschreibe und Denkverboten polemisch und mit satirischem Ernst zu kritisieren.

Der Eröffnungsartikel erklärte, dass für die Herausgeberinnen die Frauenbewegung erst dort beginne, »wo der klebrige Schleim weiblicher Zusammengehörigkeit sein Ende hat«. Als Autorinnen und Beiträgerinnen fanden sich weitere Frauen, von denen viele später als Schriftstellerinnen, Künstlerinnen oder nonkonformistische Akademikerinnen bekannt wurden. Sie waren nicht nur an weiblicher Nabelschau interessiert, sondern wollten sich mit der Welt ins Verhältnis setzen - wie Elfriede Jelinek, Rita Bischof, Gisela Elsner, Silvia Bovenschen, Elisabeth Lenk und Gisela von Wysocki. Die Beiträge sind durchgehend von dem heute oft schmerzlich fehlenden Bestreben gekennzeichnet, selbstständig und ohne ideologische Absicherung zu denken und zu urteilen und sich herauszunehmen, alles zu kritisieren: Feminismus als Weigerung, konstruktiv zu sein und »solidarisch« mitzumachen.

Die Frage nach weiblicher Subjektivität und nach der Überwindung der patriarchalen und damit nach Überzeugung Goettles immer schon tendenziell faschistischen Einrichtung der Welt war durchaus ein wichtiges Thema der Zeitschrift. Formuliert werden sollte ein Feminismus, der weder Frauen und Männer einfach gleichsetzt, noch das Weibliche zum Gegenprinzip erklärt und die Frau damit erneut zum bloßen Komplement macht oder in Mütterlichkeit, Naturnähe und Pazifismus schwelgt. Weiblichkeit war hier nicht ursprünglich oder innerlich erfühlbar, sondern wurde mit Bezug auf Max Horkheimers und Theodor W. Adornos »Dialektik der Aufklärung« und den französischen Differenzfeminismus negativ, in Abgrenzung zur Herrschaft des männlichen, identitätssetzenden Prinzips und der binären Zuschreibungen wie Natur und Kultur, Gefühl und Ratio, männlich und weiblich zu fassen versucht.

Eine »weibliche Sprache« dürfe sich nicht mit oberflächlichen »Restaurierungsarbeiten« begnügen; einer Sprachpolitik im heute gängigen Sinne wurde eine rigorose Absage erteilt: »Wenn statt der Dinge das Bild von den Dingen untersucht wird, steht es schlimm genug, wenn aber diese Bilder dann eine Gebrauchsfähigkeit bekommen, die es unmöglich macht, die Dinge überhaupt noch wahrzunehmen, dann ist schon der erste Schritt zur erneuten Unmündigkeit freiwillig getan.« Und: »Mit dem Auswechseln des Vokabulars allein lässt sich die Subversion des herrschenden Systems nicht erreichen.« So wird in der »Schwarzen Botin« umstandslos das generische Maskulinum verwendet und doch sind die formulierten Gedanken um einiges radikaler als das meiste, was heute mit Sternchen und Unterstrich daherkommt.

Moralisch einwandfrei wollte die »Schwarze Botin« sowieso nicht sein. Ihre Parteilichkeit für die Frauen wurde weder durch Opfererzählungen gerechtfertigt noch durch die Überzeugung, der besseren Hälfte der Menschheit anzugehören. Sie wurde einfach selbstbewusst gesetzt. Männer interessierten insgesamt wenig, schon gar nicht die linken mit den »Parolen ihrer Urgroßväter«, ihrem Klassenkampf-Fetisch (»das Volk ist Opium für die Linke«) und ihrer Selbstüberschätzung. Gerade der männlichkeitskritische Klaus Theweleit wurde abgewatscht für sein Bild von »holder Weiblichkeit«.

In dem Band, der die Texte thematisch statt chronologisch ordnet und damit einer bloßen Historisierung entgegenwirkt, kann man in Auswahl nachlesen, was die »Schwarze Botin« stattdessen interessierte: Fragen der Ästhetik ebenso wie solche nach der Möglichkeit gesellschaftsverändernden Handelns; die RAF und die Gewalt des Rechts, dabei Bezugnahmen auf Walter Benjamin oder Friedrich Nietzsche nicht scheuend; die Ideologien von Populärkultur und Faschismus; eine Kritik der Arbeit; Märchendeutungen, Sexualität, Mythologie und vieles mehr. Neben Essays erschienen auch Gedichte, Collagen, Prosatexte, Grafiken.

»Literarische Texte und Gelegenheitsarbeiten, Apokryphes und Prinzipielles, Kryptisches und Informatives standen unverbunden nebeneinander«, wie das Nachwort von Christiane Ketteler und Magnus Klaue feststellt, das die Sprache der »Schwarzen Botin« und ihre Ästhetik des Zerschneidens und Trennens deutet und den Band abschließt. Dessen einziger Mangel besteht im leider sehr schlampigen Lektorat der edierten Texte, das zahlreiche offenbare Fehler eines Schrifterkennungsprogramms übersah, sodass die Welt des Öfteren eine »Weit« ist, die Finsternis eine »Finstemis« und das Liebesleben ein »Liebesieben«.

Vojin Saša Vukadinović (Hg.): Die Schwarze Botin. Ästhetik, Kritik, Polemik, Satire 1976-1980. Mit einer historischen Einleitung von Vojin Saša Vukadinović und einem literaturwissenschaftlichen Nachwort von Magnus Klaue und Christiane Ketteler. Wallstein, 512 S., br., 36 €.

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