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Streit um SPD-Friedensmanifest: Abwehr statt Argumente
Parteiführung und Minister reagieren wütend bis herablassend auf die Mahnung von Stegner und Co, nicht unkontrolliert aufzurüsten
Manche SPD-Politiker bekamen regelrecht Schnappatmung, nachdem das von Genossen wie Rolf Mützenich, vor Monaten noch Chef der SPD-Bundestagsfraktion, Ralf Stegner und Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans initiierte »Manifest« in der Welt war. In dem vor gut einer Woche veröffentlichten Papier wenden sich dessen Unterstützer gegen die Logik, Sicherheit nur noch als militärische zu diskutieren. Sie fordern auch Verhandlungen, Interessenausgleich und Verständigung.
Nach einem Waffenstillstand in der Ukraine, heißt es darin, müsse der »außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa«. Vor allem dieser Satz und die Aussage, die Unterstützung der Ukraine müsse »verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität«, sind ein rotes Tuch für die Kritiker des Papiers. Sie sprechen fast ausschließlich über diese Passage und die in dem Appell enthaltene Kritik an der Nato.
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So wirft der Ex-Bundestagsabgeordnete Michael Roth den Initiatoren fehlende »Empathie für die Menschen in der Ukraine« und »Appeasement-Politik« gegenüber Russland vor. In einem am Dienstag auf Zeit-online veröffentlichten Streitgespräch mit Ralf Stegner bekräftigte Roth seine Aussage, das Papier sei »eine weinerliche Melange aus Rechthaberei, Geschichtsklitterung und intellektueller Wohlstandsverwahrlosung«. Weiter behauptete er, für die Manifest-Gruppe seien »die Staaten Osteuropas nur dann souverän, wenn sie Russlands Einflusssphäre nicht infrage stellen«. Das sei »nichts anderes als russische Propaganda, die auch von der AfD und der Wagenknecht-Truppe genährt wird«.
Stegner wiederum betonte, er wolle die Friedensfrage gerade nicht den Rechten und dem BSW überlassen. Anderenfalls werde die SPD demnächst bei Wahlergebnissen von zehn Prozent landen. Bei der Bundestagswahl im Februar hatten die Sozialdemokraten bereits ein historisch schlechtes Ergebnis von 16,5 Prozent eingefahren. Der Bundestagsabgeordnete ist zudem sicher, dass in Sachen Diplomatie vom Westen viel zu wenig unternommen worden sei. So werde China, das großen Einfluss auf Russland habe, viel zu wenig »in Verhandlungsbemühungen einbezogen«. Ebenso müsse man auf Länder des Globalen Südens zugehen.
An der Festlegung der Bundesregierung auf massive Aufrüstung wird die Intervention der »SPD-Friedenskreise«, wie sie sich selbst nennen, indes nichts ändern. In deren Reihen ist man dennoch verärgert darüber, dass nun auch bekannte Sozialdemokraten Widerspruch gegen diese Linie formulieren.
Die SPD-Regierungsmitglieder Boris Pistorius und Lars Klingbeil haben sich von dem Papier distanziert. Der Bundesverteidigungsminister bescheinigte seinen Initiatoren »Realitätsverweigerung«. In der ARD sagte Pistorius: »Wie man sich in dieser Phase eine engere Zusammenarbeit mit Russland auch nur vorstellen kann, ist völlig befremdlich.« Vizekanzler und Finanzminister Klingbeil betonte, es werde mit ihm »keine Kehrtwende geben bei der Unterstützung der Ukraine«.
Nahezu wortgleich wie Pistorius äußerte sich am Mittwoch auch SPD-Vizechef Hubertus Heil. Es sei »die Zeit der Verantwortungsethik«, sagte er der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Man könne »die Zeitenwende nicht einfach ignorieren und sich die Welt schönwünschen«. Laut Heil steht nur eine Minderheit in der SPD hinter den Manifest-Positionen. Es sei zwar richtig, dass die Debatte darüber in der Partei geführt werde, aber sie müsse auch wieder beendet werden, stellte er klar.
Klingbeil, der alle anderen Vorhaben der schwarz-roten Koalition von Anfang an unter Finanzierungsvorbehalt gestellt hatte, bekundete derweil, er sei bereit, die Verteidigungsausgaben Deutschlands in den kommenden Jahren auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu erhöhen. Diesen Plänen wird im Manifest ebenfalls vehement widersprochen: Die Militärausgaben seien bereits sehr hoch. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri ist Deutschland bereits im vergangenen Jahr auf Platz vier der Staaten mit den in absoluten Zahlen höchsten Militärausgaben vorgerückt.
»Was wir beklagen, ist der Glaube, dass man einem Ende des Blutvergießens näher kommt, wenn man Sicherheit nicht mehr mit, sondern gegen einen nach wie vor großen Nachbarn organisieren will und sich in einen finanziell unbegrenzten Rüstungsrausch steigert.«
Norbert Walter-Borjans ehemaliger SPD-Vorsitzender
Der Finanzminister sagte am Montag beim »Ständehaus-Treff« der »Rheinischen Post« in Düsseldorf: »Meine Verpflichtung ist, vor allem dafür zu sorgen, dass alle sicher leben können, und dafür muss jetzt mehr investiert werden. Und wenn das am Ende heißt, drei Prozent, dann machen wir drei Prozent, wenn das heißt 3,5 Prozent, machen wir 3,5 Prozent.« Im laufenden Jahr blieben es »erst mal zwei Prozent« des BIP für die Verteidigung. Nato-Generalsekretär Mark Rutte hatte vorgeschlagen, dass sich künftig alle Mitglieder des Militärpakts verpflichten sollten, mindestens 3,5 Prozent ihres BIP in die Verteidigung zu investieren. Dazu sollen noch einmal 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Ausgaben wie Infrastruktur kommen.
Ex-Parteichef Walter-Borjans beklagte derweil den herrschenden Glauben, dass sich »Sicherheit nicht mehr mit, sondern gegen einen nach wie vor großen Nachbarn organisieren« lasse. Gegenüber der »Westdeutschen Zeitung« äußerte er die Sorge, dass man sich »bei schon sehr hohen Rüstungsausgaben in einen finanziell unbegrenzten Rüstungsrausch steigert«.
Ex-Fraktionschef Mützenich begründete die Veröffentlichung des Papiers zwei Wochen vor dem SPD-Bundesparteitag in Berlin damit, dass sich die Partei dort auch ein neues Grundsatzprogramm geben will. »Unsere Überlegungen sollen eine breite, seit Jahren in der SPD und außerhalb geführte Diskussion ergänzen«, so Mützenich. Letztlich hängte er damit den Anspruch der Initiative sehr tief: Man will niemandem zu nahe treten, aber gern mal darüber reden, dass es vielleicht auch anders ginge. Wohl auch mit einem realistischen Blick auf den Einfluss der Manifest-Gruppe auf die Partei.
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