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SPD-Politiker: »Gemeinsame Sicherheit ist eine Herkulesaufgabe«
Arno Gottschalk über das Manifest von SPD-Linken gegen die Militarisierung der Außenpolitik und die Reaktionen darauf
Das Friedensmanifest, das prominente SPD-Linke initiiert haben, ist auf riesige Resonanz gestoßen, allerdings vor allem auf Ablehnung. Hat Sie das überrascht?
Über die Gesamtresonanz bin ich schon etwas überrascht. In einer gewissen Weise freue ich mich auch darüber, denn das zeigt, dass da auch ein Funke gezündet hat in der aktuellen politischen Atmosphäre. Dass das Gros der Reaktionen in den Medien kritisch ausfallen würde, damit haben wir gerechnet. Die Art und Weise, im Wesentlichen diffamierend, befremdet mich aber schon. Sie scheint ganz klar von der Absicht getragen, das Manifest nur mit dem Blick auf die Ukraine und die Frage, wie dort der Krieg beendet werden kann, zu betrachten. Dabei geht es uns eigentlich um Grundfragen unserer Sicherheitspolitik. Wir kritisieren die Verengung der Diskussion auf das rein Militärische und die Pläne für eine gigantische Aufrüstung, für die es in diesem Ausmaß aufgrund der militärischen Kräfteverhältnisse zwischen Nato und Russland eigentlich keinen Grund gibt. Darüber will man aber offenbar partout nicht diskutieren.
Arno Gottschalk sitzt seit 2011 für die SPD in der Bremer Bürgerschaft. Er ist Sprecher für die Haushalts- und Finanzpolitik mit einem weiteren Schwerpunkt in der Klima- und Umweltpolitik. Seit Langem befasst er sich auch intensiv mit Außen- und Sicherheitspolitik. Er gehört zu den Initiatoren und Erstunterzeichnern des von SPD-Politikern veröffentlichten Manifests für Friedenssicherung in Europa.
Nun beziehen sich die ersten Ihrer Forderungen schon auf die Ukraine: möglichst schnelles Ende des Krieges, und es wird darauf verwiesen, dass man das nicht ohne Zugeständnisse an Russland erreiche. Vorwürfe, Sie machten sich damit zum Sprachrohr Moskaus, verstehen Sie dennoch nicht?
Dieser Vorwurf kommt ja immer. Aber natürlich muss alles versucht werden, zu einer Verhandlungslösung zu kommen, um das Töten und Sterben in der Ukraine zu beenden. Wir haben aber im Manifest nicht versucht darzulegen, wie man das genau erreichen könnte. Dafür müsste man eigentlich ein eigenes Papier ausarbeiten, weil die Situation so komplex ist. Im Manifest fordern wir Grundsätzlicheres: die Rückkehr zu einer Sicherheitspolitik, die auf dem Dreiklang von ausreichender Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung basiert – mit dem Ziel, wieder den Anlauf zu einem System gemeinsamer Sicherheit zu nehmen. Ich habe den Eindruck, dass man durch die Fokussierung auf den Krieg in der Ukraine von dieser Kernbotschaft ablenken möchte.
Sie treten für die Rückkehr zu einer gemeinsamen Sicherheitsordnung in Europa ein, wie sie mit der Schlussakte von Helsinki 1975 schon einmal geschaffen worden ist. Weil für die Unterzeichner des Manifests dieses Abkommen ein Referenzpunkt ist, wird ihnen bescheinigt, geistig in den 1980er Jahren steckengeblieben zu sein …
Wir wissen selbst, dass die Konzepte von damals nicht eins zu eins übertragen werden können. Aber es geht um ein Grundprinzip der Politik, nämlich die Sicherheitsbedürfnisse aller Beteiligten zu berücksichtigen. Es geht darum, ob man weiter Sicherheitspolitik nur noch militärisch definieren will oder ob wir zu dem Kenntnisstand zurückkehren, den wir im Vorfeld der Vereinbarungen von Helsinki schon einmal hatten. Der lautete, dass man Sicherheit nicht allein auf militärischem Wege herstellen kann und unkontrolliertes Wettrüsten vielmehr zur Selbstgefährdung führt. Und dass man deshalb Verteidigungsfähigkeit unbedingt mit Rüstungskontrolle und Verständigung flankieren muss. Genau das formulieren wir als Vision. Es ist klar, dass das eine Herkulesaufgabe ist, die nicht von heute auf morgen zu bewältigen ist.
Ihnen wird wegen kritischer Aussagen zur Politik der USA gegenüber China auch der Vorwurf des Antiamerikanismus gemacht …
Wir konstatieren einfach, dass der alles überwölbende Konflikt der ist, der sich zwischen den USA und China aufbaut. Die Zielsetzung der USA, China mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in der weiteren Entwicklung einzudämmen, ist ja kein Geheimnis, sondern offizielles Regierungsprogramm in Washington. Was soll an dieser Feststellung antiamerikanisch sein?
Auch deutsche Politiker sagen, die größte Gefahr für die Welt sei heute China.
Mit China steigt zum ersten Mal ein Land auf, das den USA ihre Supermacht- und Führungsrolle in der Welt nehmen könnte. Dieser Konflikt kann für unseren Planeten in der Tat sehr gefährlich werden, wenn er primär militärisch ausgetragen wird. Die Gefahr, dass rund um Taiwan ein dritter und damit wohl letzter Weltkrieg begonnen wird, ist real. Wir werden die Rivalität zwischen den Großmächten nicht wegbekommen. Aber es wird darauf ankommen, dass dieser Wettbewerb ökonomisch und nicht mit Waffen ausgetragen wird.
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Sie weisen im Manifest auch darauf hin, dass neue Formen von Kolonialismus den Frieden bedrohen. Worauf spielen Sie konkret an und was wäre zu tun?
Derzeit erleben wir einen Kampf um den Zugang zu Ressourcen, der sich unter anderem in dem Bestreben der USA äußert, sich Grönland einzuverleiben. Dabei geht es letztlich um den Zugriff auf die dortigen Rohstoffe, auch im Bereich der seltenen Erden. Und auch in der Ukraine haben sich die USA ja mit ihrem Deal mit Kiew den prioritären Zugriff auf Rohstoffe gesichert – übrigens auch gegenüber den Europäern, die sich ihrerseits Hoffnung darauf gemacht hatten. China hat in dieser Frage eine weitgehende und problematische Dominanz. Unsere Rolle kann aber nicht darin bestehen, sich mit militärischer Gewalt im Hintergrund auf Rohstoffquellen zuzubewegen. Wir müssen über die EU kooperative Wege finden, aber auch einen eigenständigen Weg gegenüber den USA.
Welche Chancen rechnen Sie sich auf dem SPD-Parteitag kommende Woche aus, einen Richtungswechsel in der Partei zu erreichen?
Wir haben über Jahre Sicherheitspolitik gar nicht mehr in ihrer Breite diskutiert. Das Thema Ukraine und das Erreichen von »Kriegstüchtigkeit« steht seit Anfang 2022 obenan. Wir wollen den Anstoß geben, wieder eine breitere Diskussion zu eröffnen. Wenn uns das gelingt, ohne, dass wir wieder in diesen diffamierenden Ton abgleiten, ist ein wesentliches Ziel erreicht. Eine Erschütterung der von Parteispitze und Regierungsmitgliedern vertretenen Linie ist aber weder geplant noch absehbar.
Die Linke schlägt vor, im Bundestag gemeinsame Initiativen für Ziele des Manifests zu starten, etwa gegen die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen. Was halten Sie davon?
Aus der Manifest-Bewegung heraus haben wir zunächst vornehmlich den Diskurs innerhalb der SPD vor Augen. Darum denke ich, dass das im Moment nicht ansteht. Für die innerparteiliche Debatte wäre das nicht förderlich – auch, weil das von aufrüstungsgeneigten Medien absehbar benutzt würde, um uns erneut zu diffamieren. Aber über den Moment hinaus, das haben wir in den 1980er Jahren bei der Friedensbewegung gesehen, können und müssen sich sehr unterschiedliche Kräfte zusammenfinden, die sich zumindest in einem Ziel treffen. Wir werden sehen, ob so etwas rund um die Mittelstreckenraketen wieder gelingt.
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